[werner.stangl]s arbeitsblätter 
Die Zukunft ist die Ausrede all jener, die in der Gegenwart nichts tun wollen.
Harold Pinter
Optimisten leiden, ohne zu klagen. Pessimisten klagen, ohne zu leiden.
Karl Farkas

Positives Denken - eine Kritik

Literatur & Quellen:

Tenzer, Eva (2009). Think negative! FAZ vom 28. Januar 2009.

http://de.wikipedia.org/wiki/ Positives_Denken (09-03-02)

http://www.zeitzuleben.de /affirmationen.html (09-05-04)

Rohner, Koni (2009). Sie nervt mit positivem Denken.
WWW: http://www.beobachter.ch/ leben-gesundheit/psychologie/artikel/ koni-rohner-zu-selbsthilfe-bestseller_ sie-nervt-mit-positivem-denken/ (09-07-22)

Sevincer, A. T., Wagner, G., Kalvelage, J. & Oettingen, G. (2014). Positive Thinking About the Future in Newspaper Reports and Presidential Addresses Predicts Economic Downturn. Psychological Science, doi: 10.1177/0956797613518350

Eine nicht auszurottende psychologische Halbwahrheit ist mittlerweile schon ins allgemeine Bewusstsein gesickert und hält sich dort hartnäckig: "Du musst nur fest an den Erfolg glauben, dann klappt das schon.“ So liest man auf einer Website: "Positives Denken wirkt sich auf alle Bereiche Ihres Lebens aus: auf Ihre Gesundheit, auf Ihr seelisches Wohlbefinden, auf Ihre geistigen Fähigkeiten und auf Ihre Wahrnehmung, auf Ihre beruflichen und finanziellen Erfolge und auf Ihre zwischenmenschlichen Beziehungen." Negatives Denken ist generell in der Gesellschaft aber noch immer verbreiteter als positives, weil es zum einen ein wichtiger entwicklungsgeschichtlicher Überlebensreflex ist, aber auch weil die Menschen immer noch ihr Heil darin suchen, sich als Opfer der Umstände zu betrachten und sich damit wenig Einfluss auf die Entwicklung zuschreiben. Wenn sich irgendwo eine Herausforderung zeigt, versucht man das Problem zu erklären, ihm einen klingenden Namen zu geben, in der eigenen Biografie zu wühlen, in der man dann alles Mögliche findet, nur nicht die Erkenntnis, dass man es allein in der Hand hat.

Das heute oft anzutreffende Diktat des positiven Denkens vor allem in den USA hat seine Wurzeln im 19. Jahrhundert, denn damals war positives Denken eine Form des Widerstandes gegen den Calvinismus, den Siedler mitgebracht hatten. Ihr Gott liebte seine Geschöpfe nämlich nicht bedingungslos und in seinem Himmel gab es nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen, d.h., man musste ständig den Sünden in sich nachforschen, wodurch es zwangsläufig zu einer Art sozial auferlegter Depression kam, die die Menschen negativ und somit krank machte. In dieser Situation sagten die positiven Denker, dass es ist nicht so schlimm sei und Gott sie nicht hasse, was den Betroffenen natürlich gut tat.

Das positive Denken ist ein vor allem im Bereich der populärwissenschaftlichen Psychologie oft von selbsternannten "Experten" oder "Motivationstrainern" verbreitetes Konzept, das als Ideologie in Psychokursen und Persönlichkeitsseminaren oder in der entsprechenden Ratgeberliteratur propagiert wird. Synonyme sind dafür oft auch "neues Denken", "richtiges Denken", "Kraftdenken" oder "mentaler Positivismus".

Psychologen haben gezeigt, dass Menschen, die in schlechter Stimmung sind, depressive Episoden durchleben oder einfach einen schlechten Tag haben, sich zusätzlich auch noch isoliert und einsam fühlen, wobei man die Ursache in dem Erleben vermutet, gegen soziale Normen zu verstoßen. Das liegt daran, dass moderne Gesellschaften besonderen Wert auf individuelles Wohlergehen und Glück legen, sodass negative Emotionen mit dem Makel des Unerwünschten behaftet sind, da man in ihrer sozialen Umgebung Angst oder Traurigkeit missbilligt, wodurch man sich noch einsamer und isolierter fühlt. Westliche Gesellschaften legen steigenden Wert auf gute Gefühle, denn ständig wird der Einzelne aufgefordert, positiv zu denken, gute Laune zu haben und optimistisch zu sein. Dieser Druck alleine kann bei manchen Menschen schon die Laune trüben, sodass solche Glücksbefehle eher das Gegenteil bewirken. Je stärker Menschen empfinden, dass man von ihnen eine positive Grundhaltung erwartet, desto schlechter wird manchmal ihre Stimmung.

Es gibt zwar einige Studien, die zwar die Wirksamkeit der Positiv-Denken-Strategie bestätigen, aber in vielen Fällen schadet positives Denken oft mehr als es nützt und kann manche Menschen sogar daran hindern, ihre Ziele zu erreichen. Man nimmt nach neuesten Forschungen an, dass positives Denken zwar bestimmte Persönlichkeiten weiterbringt, doch manchmal kann es hilfreicher sein, in negativen Phantasien zu schwelgen. Manche Menschen lassen sich von blumigen Tagträumen einschüchtern, reagieren deprimiert und ernten Misserfolge, je fester sie an die Erfüllung ihrer Wünsche glaubten. Eine positive Zielimagination hellt zwar kurzfristig die Stimmung auf und erlaubt es manchen, alternative Realitäten zu simulieren sowie wichtige Ziele zu erreichen, doch ist das nicht der Regelfall.

Vor allem Menschen mit einer hohen Leistungsmotivation und mit einer geringen Furcht vor Misserfolgen profitieren von solchen Imaginationen, aber auf Geringmotivierte wirken sich solche positiven Zielimaginationen hinderlich aus und können bei ihnen regelrechte Motivationskurzschlüsse hervorrufen, indem die Motivation zur Verfolgung des Ziels geradezu gelähmt wird.

In einer Untersuchung von Gabriele Oettingen über Jobsuchende zeigte sich, dass Bewerber mit idealisierend positiven Erfolgsphantasien nach dem Abschluss weniger Bewerbungen schrieben und auch weniger Angebote bekamen, nach zwei Jahren weniger verdienten als ihre Konkurrenten ohne Tagträume. Offensichtlich hatten die Phantasieerfolge sie dazu verführt, die erwünschte Zukunft schon zu genießen, so dass sich keine Notwendigkeit ergab, den Erfolg durch mühsames Planen tatsächlich herbeizuführen. Auch die Mentaltricks der Spitzensportler, die oft als Allheilmittel verkauft werden, können negative Konsequenzen haben, wenn sie den falschen Menschen aufgezwungen werden, da die Wirkung von der Psyche dann als unglaubwürdig eingestuft wird. Heroische Phantasien führen ihnen nämlich nur vor Augen, welche Ziele außerhalb ihrer Möglichkeiten liegen. Das verstärkt dann die negative Stimmung und stimmt pessimistisch und gleichgültig. Hier hilft eine realistische Einschätzung und das Durchspielen möglicher Schwierigkeiten und Misserfolge, denn wer sich machbare Ziele steckt, sollte sich nicht nur die erwünschte Zukunft lebhaft vorstellen, sondern auch die möglichen Hindernisse auf dem Weg dorthin vorwegnehmen. Für manche Menschen ist es also besser sich vorzustellen, was im schlimmsten Fall passieren kann, denn das lässt sie oft erkennen, dass negative Konsequenzen einer Entscheidung durchaus tragbar wären. Vor allem sachlich-problemorientierte Menschen profitieren von diesem skeptischen Blick auf die Zukunft, denn ihre Stärke liegt im analytisch-kritischen Denken und sie haben das Gefühl, sich selbst zu täuschen, wenn sie unbedingt alles positiv sehen sollen.“ Wer sich außerdem schnell unter Druck setze oder setzen lasse, habe oft Schwierigkeiten mit starken Erfolgsphantasien. Solche Persönlichkeiten würden eher schwächer als stärker, wenn sie rigoros positiv denken sollten. Julie Norem (Wellesley College, Boston) wie in einem Experiment nach, dass pessimistische Studenten deutlich schlechtere Prüfungsleistungen erbringen, wenn ihnen vorher optimistische Denkstrategien aufgezwungen werden. Sie schnitten besser ab, wenn sie sich vorher intensiv einen Misserfolg ausmalen durften.

Zwei Studien zu den wirtschaftlichen Folgen positiven Denkens (Sevincer et al., 2014) haben überprüft, ob auch gesamtwirtschaftlich jene Folgen auftreten, die man im täglichen Leben nachgewiesen hat, etwa dass sich Studenten seltener und erfolgloser bewerben, wenn sie von einem tollen Job träumen, sich Patienten von einer Hüftoperation langsamer erholen, wenn sie von einem zu positiven Ergebnis ausgehen, Übergewichtige weniger Gewicht verlieren, wenn sie das Abnehmen idealisieren, Menschen in einer Woche weniger erledigen, wenn sie ihre Zukunft durch eine rosarote Brille sehen oder Studenten schlechtere Noten schreiben, Probleme nicht lösen und Pläne unzulänglich umsetzen, wenn sie in Gedanken an große Studienerfolge schwelgen. Dafür wertete man mittels einer Computeranalyse die Leitartikel der Wirtschaftsseite einer Tageszeitung aus, die in der Krisenzeit 2007 bis 2009 erschienen, und verglich, wie sich eine Woche und einen Monat später der Dow-Jones-Index entwickelte. Auch analysierte man die Antrittsreden der amerikanischen Präsidenten von 1933 bis 2009 auf positives Denken und verglich am Ende ihrer vierjährigen Amtszeit den wirtschaftlichen Erfolg (Bruttoinlandsprodukt, Arbeitslosenquote). Das Ergebnis bestätigte, dass es zu einem sinkenden Aktienindex nach optimistischen Zeitungsartikeln kam, und auch weniger Wirtschaftsleistung und mehr Arbeitslosigkeit nach blumigen Antrittsreden konnten bestätigt werden. Positives Denken einflussreicher Wirtschaftsjournalisten oder Präsidenten endete also in krisenhaften gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen, wobei man nicht ausschließen kann, dass diese Zusammenhänge durch Drittvariablen zustande kommen, etwa durch ein getrübtes Konsumklima oder eine ungünstige Auftragslage der Unternehmen. Man kann daraus den Schluss ziehen, dass ein kulturelles Klima, das davon bestimmt ist, positiv an die Zukunft zu denken, ein wichtiger psychologischer Faktor ist, der eher nicht zu einem wirtschaftlichen Aufschwung sondern eher zu einem Abschwung führt.

Oswald Neuberger sieht in der Methode des Positiven Denkens eine zirkuläre Falle: "Wenn du keinen Erfolg hast, dann bist du eben selber schuld, weil du es offensichtlich nicht richtig probiert hast. Der Trainer aber bleibt unfehlbar."

Barbara Ehrenreich warnt in ihrem Buch "Smile or Die" vor der verdummenden Ideologie des positiven Denkens und schildert die demoralisierende Wirkung einer selbst verordneten Hurrakultur. Sie belegt darin in fundierter Weise, dass der Zwang zum Glücklichsein nicht nur blind für die Realität macht, sondern wegen des ständigen Scheiterns eigener Glücksansprüche auf die Dauer auch depressiv. Ehrenreich analysiert all die Wunderheiler, Hersteller von Schutzengeln und Verkäufer falscher Hoffnungen etwa bei Erkrankungen.

Die Arbeit mit Affirmationen ist dennoch ein wichtiges Instrumentarium der beratenden Psychologie:

Affirmationen

Affirmationen sind in der Psychologie immerhin aber eine der möglichen Methoden, wenn es darum geht, sich selbst zu ändern. Unter Affirmation versteht man dabei einen selbstbejahenden Satz, den man sich selbst wieder und wieder sagt, um die Gedanken allmählich umzuprogrammieren. Das Ziel dabei ist, das Verhalten und die Gefühle zu dauerhaft zu verändern, denn Denken, Fühlen und Handeln hängen wechselseitig zusammen und wenn man seine Gedanken durch Affirmationen dauerhaft ändert, dann ändert sich nach einiger Zeit vielleicht auch das Verhalten und vielleicht auch die damit verbundenen Gefühle. Affirmationen sollte man auch eher indirekt formulieren, wobei man selbst herausfinden muss, ob man sich wohl mit der Affirmation fühlt oder nicht.
Man kann Affirmationen auch nutzen, um Probleme zu bearbeiten, wenn man weg von etwas Unerwünschtem will, wobei es wichtig ist, das Problem in ein Ziel umzuwandeln: “Was will man anstelle dessen?” Wenn man ein Affirmationstraining ein paar Tage gemacht hat, merkt man normalerweise die ersten Ergebnisse. Manchmal gibt es auch eine Erstverschlimmerung, d.h., es wird also erst einmal kurz schlimmer, bevor es besser wird. Man sollte sich dann selbst nicht zu viel Druck machen. Viele Menschen fangen an, ihre Affirmationen zwar zu verinnerlichen und hören dann aber viel zu früh damit auf, sodass sich das alte Verhalten und die alten Gefühle, die tief sitzen, wieder durchsetzen können.


Übrigens finden sich im Internet auf einschlägigen Seiten Affirmationen, wie für alles Mögliche gut sein sollen. So fanden sich in einem Newsletter etwa folgende zehn positive Affirmationen für die Selbstheilung:

Ich liebe jede Zelle meines Körpers
Ich fühle mich in diesem Körper wohl
Ich entlasse alle Gedanken an Krankheit und Leid
Ich behandle meinen Körper liebevoll und achtsam
Ich gebe meinem Körper alles, was er braucht
Jeder Atemzug gibt mir Kraft und Heilung
Ich möchte vollständig gesund sein und tue alles dafür
Mir geht es von Tag zu Tag besser
Mein Körper wird geheilt und ich nehme diese Heilung an
Meine Gesundheit ist vollkommen

Es wird dann empfohlen, diese Affirmationen leise oder laut wiederholt auszusprechen, denn je öfter man diese Sätze spricht, desto besser kann man angeblich sein Unterbewusstsein neu ausrichten. Wenn man diese Technik dann in seinen Alltag einbaut - z.B. in das tägliche Zähneputzen -, können Affirmationen Körper und Seele positiv stärken und eine Selbstheilung ermöglichen.



Gefährlicher Rat an Traurige, doch an etwas Schönes zu denken

Ist jemand in einer positiver Stimmung, ist es egal, ob er oder sie an etwas Schönes oder Trauriges in der Vergangenheit zurückdenken, denn danach geht es ihm oder ihr besser. Jedoch gilt nicht der Umkehrschluss: Der gut gemeinte Ratschlag, an etwas Schönes zurückzudenken, wenn sich jemand in einem Tief befindet, ist sogar schädlich, denn Internetstudien von Jochen Gebauer (Institut für Psychologie der Humboldt Universität Berlin) lassen den Schluss zu: Auch die Erinnerungen an schöne Ereignisse fühlen sich für Menschen in negativer Stimmung ewig weit weg an, sodass es ihnen danach meist noch schlechter geht. Eine Erkenntnis, die nach Meinung von Gebauer in die Betreuung von Personengruppen, die alt, krank oder depressiv sind, einfließen sollte.

Positives Denken und Positive Psychologie

Zahlreiche Ratgeber des positiven Denkens stellen für viele unbedarfte LeserInnen daher eher eine Gefahr dar, denn die Anbieter sind mehr gute Verkäufer als seriöse Wissenschaftler. Autoren wie Dale Carnegie oder Joseph Murphy, die behaupten, dass der Mensch mittels Vorstellungskraft Einfluss auf sein Unterbewusstsein nehmen können, sind noch immer Bestseller. Um ihre Methode zu propagieren, stellen sie natürlich nur erfolgreiche Beispiele vor. Und wenn trotz intensiver Autosuggestion von Zeit zu Zeit Misserfolge, Niederlagen oder Rückschritte passieren, wird dies als persönliches Versagen interpretiert und führt häufig zu Selbstvorwürfen und Depressionen. Allerdings lässt sich die Wirkung des positiven Denkens lässt nach wissenschaftlichen Kriterien aber nicht beweisen.

Man darf das "positive Denken" nicht mit der "positiven Psychologie" verwechseln, denn dabei handelt es sich um einen wissenschaftlichen Ansatz, mit dem seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts intensiv geforscht wird. Ein wichtiger Vertreter der positiven Psychologie ist Martin E. P. Seligman. Die Grundidee der positiven Psychologie besteht darin, sich in der Forschung weniger mit seelischen Krankheiten zu befassen, sondern mit den Bedingungen für Gesundheit und Wohlbefinden. Während in psychologischen Zeitschriften weltweit rund 80000 wissenschaftliche Artikel über Depression erschienen sind, waren es nur 4000 über Lebenszufriedenheit, und 20000 Untersuchungen über Angst stehen nur 780 über Mut gegenüber. Bei der Frage danach, was gesund und gut für den Menschen sei, haben die Forscher auch die Antworten der Philosophien und Religionen der verschiedenen Kulturen herangezogen. Sie wiesen nach, dass die altbekannten Tugenden Weisheit, Mut, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Mässigung sowie die Fähigkeit, spirituelle Erfahrungen zu machen (Transzendenz), auch heute nützlich für die Lebensbewältigung sind und zu mehr Zufriedenheit führen. Die Forscher haben 24 Stärken benannt, die es braucht, um diese Tugenden zu erreichen, unter anderem Optimismus, Begeisterungsfähigkeit, Bindungsfähigkeit, Neugier, Dankbarkeit, Ausdauer und nicht zuletzt Humor. Zum glücklichen Leben, haben sie auch entdeckt, gehören nicht nur Genuss und Vergnügen, sondern ebenso, dass man sich für Menschen, den Beruf, Projekte oder die Familie engagiert und dass man das Gefühl hat, das eigene Leben habe einen Sinn. Man kann den sechs Tugenden die 24 Charakterstärken folgendermaßen zuordnen:

Ähnlich wie bei den Ansätzen der Salutogenese (salut = gesund und genesis = Entstehung) – die Lehre davon, wie Gesundheit entsteht – wird also nicht die Vermeidung, Abwendung oder Heilung von Krankheit untersucht, sondern umgekehrt, was Menschen stärkt und was ihnen gut tut, d.h., was ihnen im positiven Sinne zu einem produktiven und erfüllten Leben verhilft. Die drei Säulen und Ziele der Positiven Psychologie sind die Ausrichtung auf das Positive, die wissenschaftliche Fundierung und die positive Wirkung auf Erleben und Verhalten im Alltag. Dabei unterscheidet man vier Strategien:

Martin E. P. Seligman: "Wir können der Welt zeigen, welches Verhalten zu Wohlbefinden führt, zu positiv gesinnten Menschen, zu blühenden Gemeinschaften und zu einer gerechten Gesellschaft." Der diesem Glauben zugrundeliegende Gedanke, es liege vor allem an der Einstellung eines Menschen zu seinen Erfahrungen, wenn diese vor allem unerfreulicher Art seien, ist zwar traditionell psychologisch, enthält jedoch eine radikale Steigerung, wenn versprochen wird, man könne Leid nicht nur lindern, sondern das Glück von vornherein an dessen Stelle setzen. Die "positive Psychologie" unterscheidet sich von der "negativen" dadurch, das diese sich mit den menschlichen Niederlagen beschäftigt, mit Kummer, Trauer, Angst, Sorge und Wahn, während jene ganz dem psychischen Wohlbefinden gewidmet istl. Die "positive Psychologie" ist zumindest teilweise die Reaktion der klassischen Psychologie auf die Fortschritte der Pharmakologie, die sich mit den "mood stabilizern" verbinden, die in einer Gesellschaft entsteht, in der die Einnahme von Antidepressiva zum gewöhnlichen und anerkannten Umgang des Menschen mit sich selbst gehört. So entstehen Pessimisten und Optimisten, Menschen also, die eine bestimmte Haltung zu ihren Erfahrungen einnehmen, die mit den Inhalten dieser Erfahrungen wenig zu tun haben, Charaktermasken, Heuchler und Poseure also (vgl. Steinfeld 2009).

Basis der Theorie waren Tier-Studien von Martin Seligman in den 1970ern, bei denen er mit anderen das Prinzip erlernter Hilflosigkeit bei Hunden untersuchte. Die Hunde bekamen kurze elektrische Schocks, die sie aber selbst durch die richtige Reaktion beenden konnten, indem sie einen Hebel betätigten. Gleichzeitig bekam eine andere Gruppe die Schocks, konnte sie jedoch durch die Reaktion am Hebel nicht abstellen. Zur Kontrolle gab es eine weitere Gruppe Hunde, die in einer ähnlichen Umgebung waren, aber keine Schocks erhielten. Alle drei Gruppen kamen danach in eine zweite Versuchsanordnung, in der sie zwar Elektroschocks bekamen, aber durch eine Klapptür in eine angrenzende Box ausweichen konnten, in der sie ihre Ruhe hatten. Doch nicht alle Hunde reagierten gleich auf diese Ausweichmöglichkeit, denn die Tiere, die im ersten Versuch ihre Schocks nicht abstellen konnten, obwohl sie am Hebel richtig reagierten, wurden lethargisch und blieben oft in der Box liegen und ließen die Schocks über sich ergehen, ohne den Versuch vor ihnen zu fliehen. Manche lernten nur sehr langsam ein Flucht- und Vermeidungsverhalten. Die Tiere der anderen Gruppen lernten schnell, den Schocks durch den Wechsel in die Box nebenan zu entgehen und bald, dass sie auch dort verharren konnten, um vor den Schocks sicher zu sein, wobei die Tiere, die im ersten Versuch aktiv die Schocks abstellen konnten, noch schneller als in der Kontrollgruppe lernte. Daraus schloss man, wie sehr Erfahrungen von Ohnmacht oder Kontrolle für zukünftige Herausforderungen prägend sein können (Stangl, 2021).

Martin Seligman: Why is psychology good?

Pessimismus und Optimismus

Der Mechanismus ist bei Optimist und Pessimist exakt derselbe: Jeder verallgemeinert: Der Optimist verallgemeinert das Gute, der Pessimist das Schlechte. Beide sehen eine Singularität: Der Optimist im Schlechten, der Pessimist im Guten.

Dass Pessimismus Menschen auch gesundheitlich belastet, gehört wohl schon zum Allgemeinwissen, wobei eine niederländische Untersuchung bei Männern auch empirisch nachgewiesen hatte, dass eine negative Einstellung die Sterblichkeit von Männern steigert. Nun untersuchte Hilary Tindle (Universität Pittsburgh) in einer Langzeitstudie rund 97 000 Frauen im Alter von 50 bis zu 79 Jahren, die anfangs weder an Herzproblemen noch an Krebs litten, hinsichtlich ihrer Einstellung zum Leben. Die Frauen waren in der Women's Health Initiative (WHI) erfasst worden, der weltweit größten Studie zur Frauengesundheit, in der seit 1991 Krebs, Herzleiden, Osteoporose und der Einfluss der Hormonbehandlung untersucht werden. Ob die Teilnehmerinnen zu den Optimisten oder Pessimisten zählten, wurde anhand eines Fragebogens ermittelt. Wer die Beschreibung "In unsicheren Zeiten erwarte ich meist das Beste" für sich für zutreffend hielt, galt als optimistisch. Wer hingegen der Behauptung "Wenn etwas bei mir schiefgehen kann, geht es schief" zustimmte, wurde zu den Pessimisten gezählt.

Es zeigte sich, dass eine positive Lebenseinstellung das Risiko von Frauen für Herzerkrankungen senkt, wobei diese dabei seltener an Übergewicht, Diabetes, Bluthochdruck, hohen Cholesterinwerten und Depressionen litten. In den acht Jahren war das Risiko der optimistischen Frauen für eine Herzerkrankung um neun Prozent geringer als das der Pessimistinnen. Das allgemeine Sterberisiko lag sogar um 14 Prozent niedriger, das der Frauen, die zynisch, misstrauisch und feindselig durchs Leben gehen, lag um 16 Prozent höher als das jener Teilnehmerinnen, die gelassen waren.

Link: http://pmbcii.psy.cmu.edu/tindle/index.html

Abstract: Hilary A. Tindle MD, MPH*, Yue-Fang Chang PhD, Lewis H. Kuller MD, DrPH, JoAnn E. Manson MD, DrPH, Jennifer G. Robinson MD, MPH, Milagros C. Rosal PhD, Greg J. Siegle PhD, and Karen A. Matthews PhD (2009). Optimism, Cynical Hostility, and Incident Coronary Heart Disease and Mortality in the Women's Health Initiative. Circulation, August 10, 2009, doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.108.827642.

Zeitempfinden wichtig

Menschen können im Allgemeinen nur auf Grund von Vergangenem und dessen Bewertung die eigene Position im Hier und Jetzt definieren und verstehen, wobei das je nachdem, wie man sich ein Ereignis in der Zukunft vorstellt, motivieren oder demotivieren kann. Untersuchungen zeigen, dass es Optimisten dabei schlechter als Pessimisten geht, denn da Optimisten auch die Gegenwart positiv einschätzen, ist eine ebenso positive Zukunft gar nicht so motivierend. Wenn es aber einem Pessimisten gelingt, die Zukunft positiver zu malen, dann kann ihn das durchaus motivieren, um dorthin zu kommen. Dabei dient das persönliche Zeitempfinden als Selbstschutz, denn Menschen verlagern schuldauslösende Ereignisse weiter in die Vergangenheit, um sich davon abzuschirmen, da das das Schuldgefühl lindert. Etwas zeitlich weiter von sich wegzuschieben hilft dabei, es abzuschliessen, während ein Zeitmarker in der nahen Zukunft die Motivation fördern kann.

Positive Psychologie heute

Die "positive psychology" ist in den USA während der vergangenen zehn Jahre zu einer erfolgreichen akademischen Disziplin geworden, wie 2009 der erste Weltkongress der "International Positive Psychology Association" mit 1500 Wissenschaftler aus über fünfzig Ländern in Philadelphia zeigte. Der erste Studiengang mit Doktorat ist eingerichtet und jedes Jahr fließen viele Millionen in die Forschung, die entsprechenden Artikel werden jetzt in den anerkannten psychologischen Zeitschriften veröffentlicht, das Militär hat ein Programm namens "comprehensive soldier fitness" geschaffen, in dem der psychischen Belastbarkeit der Rekruten aufgeholfen werden soll. Inzwischen gibt es sogar eine Software für das iPhone - Live Happy, verfasst von Sonja Lyubomirsky, Psychologin an der Universität von Kalifornien in Riverside: "The interactive iPhone application contains surveys and activities to help you understand yourself better and put yourself on the road to improvement. iPhone app Live Happy aims to boost your happiness using the research of Dr. Sonja Lyubomirsky, author of The How of Happiness and psychology professor at University of California, Riverside. The research of Lyubomirsky and others shows that people who complete specific activities on a regular basis can grow happier. This application is an ideal one for the iPhone as you can do the exercises whenever and wherever you want. The tasks don't take much of your time because they range from thanking a friend and writing in a gratitude journal to taking in a happy moment and doing random acts of kindness".

Während sich ein Großteil der Forschung auf dem Gebiet der positiven Psychologie auf die Erfüllung und das Glück des Einzelnen konzentriert, untersuchen nur wenige Forscher, wie es zum Wohl der Allgemeinheit beiträgt, also Forschung über Dankbarkeit, Mitleid, Selbstlosigkeit, Ehrfurcht oder gute elterliche Fürsorge. Christine Carter untersucht unter anderem die Unterstützung und Förderung von Eltern bei der Erziehung von Kindern, die die emotionalen Grundregeln beherrschen, also die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und die anderer zu verstehen und mit ihnen richtig umzugehen. Sie hat dabei festgestellt, dass Eltern, die bewusst die Dankbarkeit und Großzügigkeit ihrer Kinder kultivieren, beobachten können, dass diese glücklicher und belastbarer werden. Bei Studenten hat Rodolfo Mendoza-Denton festgestellt, dass Bekanntschaften zwischen Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft das Leben auf dem Campus bereichern können. In seiner Studie lernten sich weiße und Latinostudenten mit starken Rassenvorurteilen bei mehreren Treffen zu zweit besser kennen, wobei während des Experiments deren Cortisolspiegel nach und nach sanken und auch nach dem Ende des Experiments kamen diese Studenten besser mit Kollegen anderer Ethnien aus (vgl. Anwar, 2009).

Im Buch "Das Glücksdiktat" beschreiben Illouz & Cabanas (2019) das gefährliche Potential, das sich hinter der millionenschweren Glücksindustrie verbirgt und zeigen auf, wer die Nutznießer und wer die Verlierer dieses vermeintlich positiven Trends sind. Eine boomende Glücksindustrie explodiert seit den neunziger Jahren und damit die Zahl der Glücksseminare, Glücksratgeber und Happiness-Indizes. Angeblich liegt es nur an den Menschen selbst, negative Gefühle zu blockieren, uns selbst zu optimieren und Achtsamkeit zu praktizieren, denn dann kommt auch das Glück. Sie fragen, was es für die Gesellschaft bedeutet, wenn der Staat sich zunehmend nicht mehr für soziale Gerechtigkeit oder ein funktionierendes Gesundheitssystem zuständig fühlt und den Bürgerinnen und Bürgern einer ultra-individualistischen Gesellschaft die gesamte Verantwortung für das eigene Schicksal übertragen wird. Die Menschen erkennen nach Ansicht der Autoren einen glücklichen Moment selbst oft nicht mehr, wobei Glück meist in der Vergangenheit liegt.

Die Positive Psychologie behauptet, man liege falsch, wenn man das Leiden der Menschen untersuchen wolle, man solle stattdessen auf das Positive fokussieren, und es ist zu fragen, wem dieser psychologischer Ansatz nutzt. Offenbar sind es konservative, rechtsorientierte Kreise, Firmen und sogar die amerikanische Armee, die damit ein neues Modell von Bürgern schaffen, und zwar von Bürgern, die sich nicht beklagen, die alles und jedes positiv sehen. Daher sind die Menschen selber dafür verantwortlich, um sich gut zu fühlen, unabhängig davon, welches Unglück ihnen zugefügt wird, wobei unter dem Schlagwort der Resilienz eine neue Scham verbreitet wird, denn plötzlich schämt man sich, deprimiert oder wütend zu sein.

Auch viele Arbeitgeber nutzen Methoden der Positiven Psychologie, denn dabei handelt es sich um einen effektiven Weg, um Menschen zu kontrollieren und sie produktiver zu machen. Wenn Arbeitnehmer in allem das Positive sehen, haben sie tiefere Erwartungen der Institution gegenüber, und wenn sie für sich selbst und für alles verantwortlich gemacht werden, gibt es keinen Grund, warum sie bessere Arbeitsbedingungen fordern sollten. Es führt dazu, dass man sich für negative Gefühle schämt, Depression, Wut und Angst werden zu Gefühlen von Verlierern.

Eine große Anzahl an Online-Profilen zeigt nur Menschen, die lächeln und glücklich aussehen, doch so wird Glück abgewertet, die Glücksdefinition, die mit Ethik und Tugend verbunden ist, ist somit verloren gegangen, und es herrscht die utilitaristische Vorstellung, dass Glück bedeutet, den eigenen Genuss zu maximieren.

Negative Gefühle und schlechte Laune akzeptieren

Negative Gefühle haben eine wichtige Alarmfunktion, d.h., sie melden sich zu Wort, wenn akuter Handlungsbedarf besteht und warnen die Menschen, wenn sie wichtige Bedürfnisse und Sehnsüchte übergehen, oder wenn sie sich ihren Belastungsgrenzen nähern. Schlechte Laune hat also durchaus ihren Sinn und trägt zur Psychohygiene bei, wenn man sie zu deuten und zu akzeptieren weiß, gelassen mit ihr umgeht, denn das ist der Schlüssel zu einem harmonischen Umgang mit sich selbst. Gerade heute ist es verpönt, sich zu seiner schlechten Laune zu bekennen, aber man sollte sich ab und zu eine schlechte Laune genehmigen, etwa bei

Menschen, die stets gut drauf sind, sind oft Gute-Laune-Terroristen, aber die Unterwerfung und Überanpassung an die Dogmen des positiven Denkens sind auf Dauer schädlich, denn sie führen zur Selbstüberforderung und zur Entfremdung vom eigenen Ich. Verinnerlicht man die Glaubensbotschaften des positiven Denkens unreflektiert, wirken sie im Untergrund der Psyche weiter.

Man hat übrigens in Untersuchungen herausgefunden, dass eine positive Stimmung in einer Stresssituation schnell verloren gehen kann. Setzt man nämlich Menschen unter Stress, werden sie empfänglicher für schlechte Nachrichten und schätzen das Risko für sich als größer ein, etwa Opfer von Raub oder Einbruch zu werden. In der Evolution war es wohl günstig, dass Menschen zwischen einer optimistischen und einer pessimistischen Grundeinstellung hin- und herschalten können, denn das erleichtert es Menschen, in sicheren und unsicheren Umgebungen zu bestehen, wobei vermutlich auch eine größere Portion Gelassenheit hilfreich sein kann, um den Optimismus zu bewahren (Stangl, 2017).

Flourish

Übrigens schreibt Martin Seligman in seinem neuen Buch "Flourish", dass das Glück überbewertet wird, denn ihm sind einige Unzulänglichkeiten aufgefallen. Erstens wird das Wort Glück gewöhnlich mit einem Zustand der heiteren Gefühle assoziiert, doch diese positiven Emotionen sind nur ein Element in seiner Theorie des Glücks. Glück entsteht durch drei Elemente: positive Emotionen, Selbstverwirklichung und Bedeutung im Leben (meaning), wobei es bei der Selbstverwirklichung darum geht, seine eigenen Stärken zu erkennen und sie in einer Tätigkeit anzuwenden, in der man völlig aufgehen kann. Bedeutung im Leben meint dabei, seine Stärken und Tugenden zugunsten eines höheren Ziels oder der Gemeinschaft einzusetzen. Wenn das Ausmaß des Glücks als Messwert über die Lebenszufriedenheit (auf einer Skala von 1 bis 10 ) gemessen wird, hat sich gezeigt, dass sich Menschen dabei stark von ihrem aktuellen Gefühlszustand geleitet werden, d.h., der Messwert ist überproportional an die Stimmungslage gekoppelt. Seligman postuliert nun, dass es neben den drei Elementen, die Menschen im Leben anstreben, auch die Leistung um ihrer selbst willen (accomplishment) anstreben, also von Natur aus leistungsorientiert sind, aber dass sie auch als soziale Wesen gute Beziehungen suchen. Seligman bezeichnet nun seine Theorie als eine des Wohlbefindens, in der es nun fünf Elemente gibt: positive Emotionen, Selbstverwirklichung, gute Beziehungen, Bedeutung und Leistungsorientierung. Diese werden unabhängig voneinander in Fragebögen erhoben und in fünf Messwerten ausgedrückt, wobei alle zusammen das Wohlbefinden einer Person beschreiben. Manche Menschen haben wenig positive Emotionen oder geringes Interesse an Beziehungen, dafür liegt ihnen viel an Selbstverwirklichung.

Literatur

Anwar, Yasmin (2009). Social scientists build case for 'survival of the kindest'.
WWW: http://www.berkeley.edu/news/media/releases/2009/12/08_survival_of_kindest.shtml (09-12-12)

Illouz, E. & Cabanas, E. (2019): Das Glücksdiktat. Suhrkamp.

Interview mit Eva Illouz von Martina Läubli. NZZ am Sonntag vom 25. Oktober 2019.
https://nzzas.nzz.ch/kultur/soziologin-eva-illouz-glueck-ist-ein-statussymbol-geworden-ld.1517631

Stangl, W. (2017). Stichwort: 'Stimmung'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/13837/stimmung/ (2017-08-08)
Stangl, W. (2014). Stichwort: 'Positive Psychologie'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: https://lexikon.stangl.eu/1994/positive-psychologie/ (2014-01-11)

Steinfeld, Thomas (2009). Die verordnete Aufhellung.Menschen und Glück.
WWW: http://www.sueddeutsche.de/leben/675/483124/text/ (09-08-05)

Wood, J. V., Perunovic, W. Q. E. & Lee, J. W. (2009). Positive self-statements: Power for some, peril for others. Psychological Science, 20, 860–866.
https://www.praxisvita.de/affirmationen-fuer-die-gesundheit-die-10-selbstheiler-19619.html (21-03-12)

http://www.brighthub.com/mobile/iphone/reviews/42612.aspx (09-08-06)

Siehe zu dem Thema auch: Streicheleinheiten für das Wohlbefinden



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