Nach einer älteren Verordnung, mußte ehedessen fortwährend auf der Universität Königsberg, und zwar abwechselnd jedes Mahl, von einem Professor der Philosophie, den Studirenden die Pädagogik vorgetragen werden. So traf denn zuweilen auch die Reihe dieser Vorlesungen den Herrn Professor Kant, welcher dabey das von seinem ehemaligen Collegen, dem Consistorialrath D. Bock herausgegebene Lehrbuch der Erziehungskunst zum Grunde legte, ohne sich indessen, weder im Gange der Untersuchung, noch in den Grundsätzen, genau daran zu halten.
Diesem Umstande verdanken folgende Bemerkungen über die Pädagogik ihr Entstehen. Sie würden wahrscheinlich interessanter noch, und in mancher Hinsicht ausführlicher seyn, wenn der Zeitumfang jener Vorlesungen nicht so enge wäre zugemessen gewesen, als er es würklich war, und Kant in der Art Veranlassung gefunden hätte, sich weiter über diesen Gegenstand auszubreiten, und schriftlich ausführlicher zu seyn.
Die Pädagogik hat neuerdings durch die Bemühungen mehrerer verdienten Männer, namentlich eines Pestalozzi und Olivier, eine neue interessante Richtung genommen, zu der wir dem kommenden Geschlechte, nicht minder, als zu den Schutzblattern Glück wünschen dürfen, ohngeachtet der mancherley Einwendungen, die beyde noch erfahren müssen, und die sich freylich, bald sehr gelehrt, bald sehr vornehm ausgeben, ohne doch deshalb eben sonderlich solide zu seyn. Daß Kant die neuen Ideen damahliger Zeit auch in dieser Hinsicht kannte, über sie nachdachte, und manchen Blick weiter hinausthat, als seine Zeitgenossen, das versteht sich freylich von selbst und ergiebt
sich auch aus diesen, wenn gleich nicht aus eigner Wahl, hingeworfenen Bemerkungen.
Von meinen beyläufigen Anmerkungen habe ich nichts zu sagen; sie sprechen für sich.
Nach den niedrigen Angriffen, die sich der Buchhändler Vollmer in Beziehung auf meine Ausgabe der Kantischen physischen Geographie erlaubt hat, kann die Herausgabe solcher Handschriften unmöglich seyn. Da ich ruhig, zufrieden und thätig in meinem ohnedies nicht engen Würkungskreise leben kann, warum soll ich mich unberufenen Aufforderungen blosstellen, und unzeitigen Urtheilen preisgeben? Besser, ich widme die Augenblicke meiner Muße jenen Studien, in denen ich mit dem Beyfalle der Kenner, mir einige Verdienste erworben zu haben, und noch erwerben zu können, glauben darf.
Litteratur unsers Vaterlandes, mit Ausnahme ihrer eigentlich gelehrten Zweige, bietet ja eben kein reizendes Schauspiel dar, und das überall hervorspringende Partheymachen, verbunden
mit den anzüglichen Fehden und durchfallenden Klopffechtereyen, worauf sich mitunter sogar unsere bessere Köpfe einlassen, ist nicht sonderlich einladend zur Theilnahme. Gar gerne überlasse ich Andern das Vergnügen, sich Beulen zu holen, um sie ihren Gegnern mit Zinsen wieder abtragen zu können, und sich dadurch ein gewisses Dreyfussrecht zu erwerben, unter dessen Gewaltstreichen sie sich zur litterarischen Dictatur zu erheben wähnen. Wehe dieser papiernen Herrlichkeit! Aber wenn wird es anders, wenn besser werden?
Zur Jubilatemesse
1803.
Rink.
Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muß. Unter der Erziehung nämlich verstehen wir die Wartung (Verpflegung, Unterhaltung), Disciplin (Zucht) und Unterweisung nebst der Bildung. Demzufolge ist der Mensch Säugling, – Zögling, – und Lehrling.
Die Thiere gebrauchen ihre Kräfte, sobald sie deren nur welche haben, regelmässig, d. h. in der Art, dass sie ihnen selbst nicht schädlich werden. Es ist in der That bewundernswürdig, wenn man z. E. die jungen Schwalben wahrnimmt, die kaum aus den Eyern gekrochen, und noch blind sind, wie die es nichts desto weniger zu machen wissen, dass sie ihre Excremente aus dem Neste fallen lassen. Thiere brauchen daher keine Wartung, höchstens Futter, Erwärmung und Anführung, oder einen gewissen Schutz. Ernährung brauchen wohl die meisten Thiere, aber keine Wartung. Unter Wartung nämlich versteht man die Vorsorge der Eltern, daß die Kinder keinen schädlichen Gebrauch von ihren Kräften machen. Sollte ein Thier z. E. gleich, wenn es auf die Welt kommt, schreyen, wie die Kinder es thun: so würde es unfehlbar der Raub der Wölfe und anderer wilden Thiere werden, die es durch sein Geschrey herbeygelockt.
Disciplin oder Zucht ändert die Thierheit in die Menschheit um. Ein Thier ist schon alles durch seinen
Instinkt; eine fremde Vernunft hat bereits Alles für dasselbe besorgt. Der Mensch aber braucht eigene Vernunft. Er hat keinen Instinkt, und muss sich selbst den Plan seines Verhaltens machen. Weil er aber nicht sogleich imstande ist, dieses zu thun, sondern roh auf die Welt kommt: so müssen es Andere für ihn thun.
Die Menschengattung soll die ganze Naturanlage der Menschheit, durch ihre eigne Bemühung, nach und nach von selbst herausbringen. Eine Generation erzieht die andere. Den ersten Anfang kann man dabey in einem rohen, oder auch in einem vollkommnen, ausgebildeten Zustande suchen. Wenn dieser letztere als vorher und zuerst gewesen angenommen wird: so muß der Mensch doch nachmals wiedert verwildert und in Rohigkeit verfallen seyn.
Disciplin verhütet, daß der Mensch nicht durch seine thierischen Antriebe von seiner Bestimmung, der Menschheit, abweiche. Sie muß ihn z. E. einschränken, daß er sich nicht wild und unbesonnen in Gefahren begebe. Zucht ist also blos negativ, nämlich die Handlung, wodurch man dem Menschen die Wildheit benimmt, Unterweisung hingegen ist der positive Theil der Erziehung.
Wildheit ist die Unabhängigkeit von Gesetzen. Disciplin unterwirft den Menschen den Gesetzen der Menschheit, und fängt an, ihm den Zwang der Gesetze fühlen zu lassen. Dieses muß aber frühe geschehen. So schickt man z. E. Kinder Anfangs in die Schule, nicht schon in der Absicht, damit sie dort etwas lernen sollen, sondern damit sie sich daran gewöhnen mögen, still
zu sitzen, und pünktlich das zu beobachten, was ihnen vorgeschrieben wird, damit sie nicht in Zukunft, jeden ihrer Einfälle würklich auch und augenblicklich in Ausübung bringen mögen.
Der Mensch hat aber von Natur einen so großen Hang zur Freyheit, daß, wenn er erst eine Zeitlang an sie gewöhnt ist, er ihr Alles aufopfert. Ebendaher muß denn die Disciplin auch, wie gesagt, sehr frühe in Anwendung gebracht werden, denn wenn das nicht geschieht, so ist es schwer, den Menschen nachher zu ändern. Er folgt dann jeder Laune. Man sieht es auch an den wilden Nationen, daß, wenn sie gleich den Europäern längere Zeit hindurch Dienste thun, sie sich doch nie an ihre Lebensart gewöhnen. Bey ihnen ist dieses aber nicht ein edler Hang zur Freyheit, wie Roussenau und Andere meinen, sondern eine gewisse Rohigkeit, indem das Thier hier gewissermaßen die Menschheit noch nicht in sich entwickelt hat. Daher muß der Mensch frühe gewöhnt werden, sich den Vorschriften der Vernunft zu unterwerfen. Wenn man ihm in der Jugend seinen Willen gelassen und ihm da nichts widerstanden hat: so behält er eine gewisse Wildheit durch sein ganzes Leben. Und es hilft denen auch nicht, die durch allzugroße mütterliche Zärtlichkeit in der Jugend geschont werden, denn es wird ihnen weiterhin nur desto mehr von allen Seiten her, widerstanden, und überall bekommen sie Stöße, sobald sie sich in die Geschäfte der Welt einlassen.
Dieses ist ein gewöhnlicher Fehler bey der Erziehung der Großen, daß man ihnen, weil sie zum Herrschen bestimmt, auch in der Jugend nie eigentlich widersteht. Bey dem Menschen ist, wegen seines Hanges
zur Freyheit, eine Abschleifung seiner Rohigkeit nöthig; bey dem Thier hingegen wegen seines Instinktes nicht.
Der Mensch braucht Wartung und Bildung. Bildung begreift unter sich Zucht und Unterweisung. Diese braucht, soviel man weiß, kein Thier. Denn keins derselben lernt etwas von den Alten, außer die Vögel ihren Gesang. Hierin werden sie von den Alten unterrichtet, und es ist rührend anzusehen, wenn, wie in einer Schule, die Alte ihren Jungen aus allen Kräften vorsingt, und diese sich bemühen, aus ihren kleinen Kehlen dieselben Töne herauszubringen. Um sich zu überzeugen, daß die Vögel nicht aus Instinkt singen, sondern es würklich lernen, lohnt es der Mühe, die Probe zu machen, und etwa die Hälfte von ihren Eyern den Kanarienvögeln wegzunehmen, und ihnen Sperlingseyer unterzulegen, oder auch wohl die ganz jungen Sperlinge mit ihren Jungen zu vertauschen. Bringt man diese nun in eine Stube, wo sie die Sperlinge nicht draußen hören können: so lernen sie den Gesang der Kanarienvögel, und man bekommt singende Sperlinge. Es ist auch in der That sehr zu bewundern, daß jede Vogelgattung durch alle Generationen einen gewissen Hauptgesang behält, und die Tradition des Gesanges ist wohl die treueste in der Welt*).
Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was die Erziehung aus ihm macht. Es ist zu bemerken, daß der Mensch nur durch Menschen erzogen wird, durch Menschen, die ebenfalls erzogen sind. Daher macht auch Mangel an Disciplin und Unterweisung bey einigen Menschen sie wieder zu schlechten Erziehern ihrer Zöglinge. Wenn einmal ein Wesen höherer Art sich unserer Erziehung annähme, so würde man doch sehen, was aus dem Menschen werden könne. Da die Erziehung aber, theils den Menschen einiges lehrt, theils einiges auch nur bey ihm entwickelt: so kann man nicht wissen, wie weit bey ihm die Naturanlagen gehen. Würde hier wenigstens ein Experiment durch Unterstützung der Großen, und durch die vereinigten Kräfte Vieler gemacht: so würde auch das schon uns Aufschlüsse darüber geben, wie weit es der Mensch etwa zu bringen vermöge. Aber es ist für den spekulativen Kopf eine eben so wichtige, als für den Menschenfreund eine traurige Bemerkung, zu sehen, wie die Großen meistens nur immer für sich sorgen, und nicht an dem wichtigen Experimente der Erziehung in der Art Theil nehmen, daß die Natur einen Schritt näher zur Vollkommenheit thue.
Es ist Niemand, der nicht in seiner Jugend verwahrloset wäre, und es im reiferen Alter nicht selbst einsehen sollte, worinn, es sey in der Disciplin, oder in der Kultur, (so kann man die Unterweisung nennen) er vernachlässigt worden. Derjenige, der nicht kultivirt ist, ist wild. Verabsäumung der Disciplin ist ein größeres Uebel, als Verabsäumung der Kultur, denn diese kann noch weiterhin nachgeholt werden; Wildheit aber läßt sich nicht wegbringen, und ein Versehen in der Disciplin kann nie ersetzt werden. Vielleicht, daß die Erziehung immer besser werden, und daß jede folgende Generation einen Schritt näher thun wird zur Vervollkommnung der Menschheit; denn hinter der Education steckt das große Geheimniß der Vollkommenheit der menschlichen Natur. Von jetzt an kann dieses geschehen. Denn nun erst fängt man an, richtig zu urtheilen, und deutlich einzusehen, was eigentlich zu einer guten Erziehung gehöre. Es ist entzückend sich vorzustellen, daß die menschliche Natur immer besser durch Erziehung werde entwickelt werden, und daß man diese in eine Form bringen kann, die der Menschheit angemessen ist. Dies eröffnet uns den Prospekt zu einem künftigen glücklichen Menschengeschlechte. –
Ein Entwurf zu einer Theorie der Erziehung ist ein herrliches Ideal, und es schadet nichts, wenn wir auch nicht gleich im Stande sind, es zu realisiren. Man muß nur nicht gleich die Idee für schimärisch halten, und sie als einen schönen Traum verrufen, wenn auch Hindernisse bey ihrer Ausführung eintreten.
Eine Idee ist nichts anderes, als der Begriff von einer Vollkommenheit, die sich in der Erfahrung noch nicht vorfindet. Z. E. die Idee einer vollkommnen,
nach Regeln der Gerechtigkeit regierten Republik! Ist sie deßwegen unmöglich? Erst muß unsere Idee nur richtig seyn, und dann ist sie bey allen Hindernissen, die ihrer Ausführung noch im Wege stehen, gar nicht unmöglich. Wenn z. E. ein jeder löge, wäre deßhalb das Wahrreden eine bloße Grille? Und die Idee einer Erziehung, die alle Naturanlagen im Menschen entwickelt, ist allerdings wahrhaft.
Bey der jetzigen Erziehung erreicht der Mensch nicht ganz den Zweck seines Daseyns. Denn wie verschieden leben die Menschen! Eine Gleichförmigkeit unter ihnen kann nur Statt finden, wenn sie nach einerley Grundsätzen handeln, und diese Grundsätze müßten ihnen zur andern Natur werden. Wir kennen an dem Plane einer zweckmäßigeren Erziehung arbeiten, und eine Anweisung zu ihr der Nachkommenschaft überliefern, die sie nach und nach realisiren kann. Man sieht z. B. an den Aurikeln, daß, wenn man sie aus der Wurzel zieht, man sie alle nur von einer und derselben Farbe bekommt; wenn man dagegen aber ihren Saamen aussäet: so bekommt man sie von ganz andern und den verschiedensten Farben. Die Natur hat also doch die Keime in sie gelegt, und es kömmt nur auf das gehörige Säen und Verpflanzen an, um diese in ihnen zu entwickeln. So auch bey dem Menschen!
Es liegen viele Keime in der Menschheit, und nun ist es unsere Sache, die Naturanlagen proportionirlich zu entwickeln, und die Menschheit aus ihren Keimen zu entfalten, und zu machen, daß der Mensch seine Bestimmung erreiche. Die Thiere erfüllen diese von selbst, und ohne daß sie sie kennen. Der Mensch muß erst suchen, sie zu erreichen, dieses kann aber
nicht geschehen, wenn er nicht einmal einen Begriff von seiner Bestimmung hat. Bey dem Individuo ist die Erreichung der Bestimmung auch gänzlich unmöglich. Wenn wir ein würklich ausgebildetes erstes Menschenpaar annehmen, so wollen wir doch sehen, wie es seine Zöglinge erzieht. Die ersten Eltern geben den Kindern schon ein Beyspiel, die Kinder ahmen es nach, und so entwickeln sich einige Naturanlagen. Alle können nicht auf diese Art ausgebildet werden, denn es sind meistens alles nur Gelegenheitsumstände, bey denen die Kinder Beyspiele sehen. Vormals hatten die Menschen keinen Begriff einmal von der Vollkommenheit, die die menschliche Natur erreichen kann. Wir selbst sind noch nicht einmal mit diesem Begriffe auf dem Reinen. Soviel ist aber gewiß, daß nicht einzelne Menschen, bey aller Bildung ihrer Zöglinge, es dahin bringen können, daß dieselben ihre Bestimmung erreichen. Nicht einzelne Menschen, sondern die Menschengattung soll dahin gelangen*).
Die Erziehung ist eine Kunst, deren Ausübung durch viele Generationen vervollkommnet werden muß. Jede Generation, versehen mit den Kenntnissen der vorhergehenden, kann immer mehr eine Erziehung zu Stande bringen, die alle Naturanlagen des Menschen proportionirlich
und zweckmäßig entwickelt, und so die ganze Menschengattung zu ihrer Bestimmung führt. – Die Vorsehung hat gewollt, daß der Mensch das Gute aus sich selbst herausbringen soll, und spricht, so zu sagen, zum Menschen: „Gehe in die Welt, – so etwa könnte der Schöpfer den Menschen anreden! – „ich habe dich ausgerüstet mit allen Anlagen zum Guten. Dir kömmt es zu, sie zu entwickeln, und so hängt dein eignes Glück und Unglück von dir selbst ab.“ –
Der Mensch soll seine Anlagen zum Guten erst entwickeln; die Vorsehung hat sie nicht schon fertig in ihn gelegt; es sind bloße Anlagen und ohne den Unterschied der Moralität. Sich selbst besser machen, sich selbst kultiviren, und wenn er böse ist, Moralität bey sich hervorbringen, das soll der Mensch. Wenn man das aber reiflich überdenkt, so findet man, daß dieses sehr schwer sey. Daher ist die Erziehung das größeste Problem, und das schwerste, was dem Menschen kann aufgegeben werden. Denn Einsicht hängt von der Erziehung, und Erziehung hängt wieder von der Einsicht ab. Daher kann die Erziehung auch nur nach und nach einen Schritt vorwärts thun, und nur dadurch, daß eine Generation, ihre Erfahrungen und Kenntnisse der folgenden überliefert, diese wieder etwas hinzu thut, und es so der folgenden übergiebt, kann ein richtiger Begriff von der Erziehungsart entspringen. Welche große Kultur und Erfahrung setzt also nicht dieser Begriff voraus? Er konnte demnach auch nur spät entstehen, und wir selbst haben ihn noch nicht ganz ins Reine gebracht. Ob die Erziehung im Einzelnen, wohl der Ausbildung der Menschheit im Allgemeinen, durch ihre verschiedenen Generationen, nachahmen soll?
Zwey Erfindungen der Menschen kann man wohl als die schweresten ansehen; die der Regierungs- und die der Erziehungskunst nämlich, und doch ist man selbst in ihrer Idee noch streitig.
Von wo fangen wir nun aber an, die menschlichen Anlagen zu entwickeln? Sollen wir von dem rohen, oder von einem schon ausgebildeten Zustande anfangen! Es ist schwer, sich eine Entwickelung aus der Roheit zu denken, (daher ist auch der Begriff des ersten Menschen so schwer) und wir sehen, daß bey einer entwickelung aus einem solchen Zustande, man doch immer wieder in Rohigkeit zurück gefallen ist, und dann erst sich wieder aufs neue aus demselben emporgehoben hat. Auch bey sehr gesitteten Völkern finden wir in den frühesten Nachrichten, die sie uns aufgezeichnet hinterlassen haben, – und wie viele Kultur gehört nicht schon zum Schreiben? so daß man in Rücksicht auf gesittete Menschen, den Anfang der Schreibekunst den Anfang der Welt nennen könnte – Ein starkes Angränzen an Rohigkeit.
Weil die Entwickelung der Naturanlagen bey dem Menschen nicht von selbst geschieht, so ist alle Erziehung – eine Kunst. – Die Natur hat dazu keinen Instinkt in ihn gelegt. – Der Ursprung sowohl, als der Fortgang dieser Kunst, ist entweder mechanisch, ohne Plan, nach gegebenen Umständen geordnet, oder judiciös. Mechanisch entspringt die Erziehungskunst blos bey vorkommenden Gelegenheiten, wo wir erfahren, ob etwas dem Menschen schädlich, oder nützlich sey. Alle Erziehungskunst, die blos mechanisch entspringt, muß sehr viele Fehler und Mängel an sich tragen, weil sie keinen Plan zum Grunde hat. Die
Erziehungskunst oder Pädagogik muss also judiciös werden, wenn sie die menschliche Natur so entwickeln soll, daß sie ihre Bestimmung erreiche. Schon erzogene Eltern sind Beyspiele, nach denen sich die Kinder bilden, zur Nachachtung. Aber wenn diese besser werden sollen: so muss die Pädagogik ein Studium werden, sonst ist nichts von ihr zu hoffen, und ein in der Erziehung Verdorbener erzieht sonst den andern. Der Mechanismus in der Erziehungskunst muss in Wissenschaft verwandelt werden, sonst wird sie nie ein zusammenhängendes Bestreben werden, und eine Generation möchte niederreissen, was die andere schon aufgebaut hätte.
Ein Prinzip der Erziehungskunst, das besonders solche Männer, die Pläne zur Erziehung machen, vor Augen haben sollten, ist: Kinder sollen nicht dem gegenwärtigen, sondern dem zukünftig möglich bessern Zustande des menschlichen Geschlechts, das ist: der Idee der Menschheit und deren ganzer Bestimmung angemessen, erzogen werden. Dieses Prinzip ist von großer Wichtigkeit. Eltern erziehen gemeiniglich ihre Kinder nur so, daß sie in die gegenwärtige Welt, sey sie auch verderbt, passen. Sie sollten sie aber besser erziehen, damit ein zukünftiger besserer Zustand dadurch hervorgebracht werde. Es finden sich hier aber zwei Hindernisse:
1) Die Eltern nämlich sorgen gemeiniglich nur dafür, daß ihre Kinder gut in der Welt fortkommen, und 2) die Fürsten betrachten ihre Unterthanen nur wie Instrumente zu ihren Absichten.
Eltern sorgen für das Haus, Fürsten für den Staat. Beyde haben nicht das Weltbeste und die Vollkommenheit,
dazu die Menschheit bestimmt ist, und wozu sie auch die Anlage hat, zum Endzwecke. Die Anlage zu einem Erziehungsplane muß aber kosmopolitisch gemacht werden. Und ist denn das Weltbeste eine Idee, die uns in unserem Privatbesten kann schädlich seyn? Niemals! denn wenn es gleich scheint, daß man bei ihr etwas aufopfern müsse; so befördert man doch nichts desto weniger durch sie immer auch das Beste seines gegenwärtigen Zustandes. Und dann, welche herrliche Folgen begleiten sie! Gute Erziehung ist gerade das, woraus alles Gute in der Welt entspringt. Die Keime, die im Menschen liegen, müssen nur immer mehr entwickelt werden. Denn die Gründe zum Bösen findet man nicht in den Naturanlagen des Menschen. Das nur ist die Ursache des Bösen, das die Natur nicht unter Regeln gebracht wird. Im Menschen liegen nur Keime zum Guten. *)
Wo soll der bessere Zustand der Welt nun aber herkommen? Von den Fürsten oder von den Unterthanen? daß diese nämlich sich erst selbst bessern, und einer guten Regierung auf dem halben Wege entgegenkommen? soll er von den Fürsten begründet werden: so muss erst die Erziehung der Prinzen besser werden, die geraume Zeit hindurch noch immer den großen Fehler hatte, daß man ihnen in der Jugend nicht widerstand. Ein
Baum aber, der auf dem Felde allein steht, wächst krumm, und breitet seine Aeste weit aus; ein Baum hingegen, der mitten im Walde stehet, wächst, weil die Bäume neben ihm widerstehen, gerade auf, und sucht Luft und Sonne über sich. So ist es auch mit den Fürsten. Doch ist es noch immer besser, daß sie von jemand aus der Zahl der Unterthanen erzogen werden, als wenn sie von Ihresgleichen erzogen würden: Das Gute dürfen wir also von oben her nur in dem Falle erwarten, daß die Erziehung dort, die vorzüglichere ist! Daher kommt es hier denn hauptsächlich auf Privatbemühungen an, und nicht sowohl auf das Zuthun der Fürsten, wie Basedow und Andere meynten, denn die Erfahrung lehrt es, daß sie zunächst nicht sowohl das Weltbeste, als vielmehr nur das Wohl ihres Staates zur Absicht haben, damit sie ihre Zwecke erreichen. Geben sie aber das Geld dazu her: so muß es ja ihnen auch anheimgestellt bleiben, dazu den Plan vorzuzeichnen. So ist es in Allem, was die Ausbildung des menschlichen Geistes, die Erweiterung menschlicher Kenntnisse betrifft. Macht und Geld schaffen es nicht, erleichtern es höchstens. Aber sie könnten es schaffen, wenn die Staatsöconomie nicht für die Reichskasse nur im Voraus die Zinsen berechnete. Auch Academieen thaten es bisher nicht, und daß sie es noch thun werden, dazu war der Anschein nie geringer, als jetzt.
Demnach sollte auch die Einrichtung der Schulen blos von dem Urtheile der aufgeklärtesten Kenner abhängen. Alle Kultur fängt von dem Privatmanne an, und breitet von daher sich aus. Blos durch die Bemühung der Personen von extendirten Neigungen, die Antheil an dem Weltbesten nehmen, und der Idee eines
zukünftigen bessern Zustandes fähig sind, ist die allmählige Annäherung der menschlichen Natur zu ihrem Zwecke möglich. Siehet hin und wieder doch noch mancher Große sein Volk gleichsam nur für einen Theil des Naturreiches an, und richtet also auch nur darauf sein Augenmerk, daß es fortgepflanzt werde. Höchstens verlangt man dann auch noch Geschicklichkeit, aber blos um die Unterthanen desto besser als Werkzeug zu seinen Absichten gebrauchen zu können. Privatmänner müssen freylich auch zuerst den Naturzweck vor Augen haben, aber dann auch besonders auf die Entwickelung der Menschheit und dahin sehen, daß sie nicht nur geschickt, sondern auch gesittet werde, und, welches das schwerste ist, daß sie suchen, die Nachkommenschaft weiter zu bringen, als sie selbst gekommen sind.
Bey der Erziehung muß der Mensch also 1) disciplinirt werden. Discipliniren heißt suchen zu verhüten, daß die Thierheit nicht der Menschheit, in dem einzelnen sowohl, als gesellschaftlichen Menschen, zum Schaden gereiche. Disciplin ist also blos Bezähmung der Wildheit.
2) Muß der Mensch kultivirt werden. Kultur begreift unter sich die Belehrung und die Unterweisung. Sie ist die Verschaffung der Geschicklichkeit. Diese ist der Besitz eines Vermögens, welches zu allen beliebigen Zwecken zureichend ist. Sie bestimmt also gar keine Zwecke, sondern überläßt das nachher den Umständen.
Einige Geschicklichkeiten sind in allen Fällen gut, z. E. das Lesen und Schreiben; andere nur zu einigen
Zwecken, z. E. die Musik, um uns beliebt zu machen. Wegen der Menge der Zwecke wird die Geschicklichkeit gewissermaßen unendlich.
3) Muß man darauf sehen, daß der Mensch auch klug werde, in die menschliche Gesellschaft passe, daß er beliebt sey, und Einfluß habe. Hiezu gehört eine gewisse Art von Kultur, die man Civilisirung nennt. Zu derselben sind Manieren, Artigkeit und eine gewisse Klugheit erforderlich, der zufolge man alle Menschen zu seinen Endzwecken gebrauchen kann. Sie richtet sich nach dem wandelbaren Geschmacke jedes Zeitalters. So liebte man noch vor wenigen Jahrzehenden Cäremonien im Umgange.
4) Muß man auf die Moralisirung sehen. Der Mensch soll nicht blos zu allerley Zwecken geschickt seyn, sondern auch die Gesinnung bekommen, daß er nur lauter gute Zwecke erwähle. Gute Zwecke sind diejenigen, die nothwendigerweise von Jedermann gebilliget werden; und die auch zu gleicher Zeit Jedermanns Zwecke seyn können.
Der Mensch kann entweder blos dressirt, abgerichtet, mechanisch unterwiesen, oder würklich aufgeklärt werden. Man dressirt Hunde, Pferde, und man kann auch Menschen dressiren. (Dieses Wort kommt aus dem Englischen her, von to dress, kleiden. Daher auch Dreßkammer, der Ort, wo die Prediger sich umkleiden, und nicht Trostkammer.)
Mit dem Dressiren aber ist es noch nicht ausgerichtet, sondern es kommt vorzüglich darauf an, daß Kinder denken lernen. Das geht auf die Prinzipien hinaus, aus denen alle Handlungen entspringen. Man sieht also, daß bei einer ächten Erziehung sehr Vieles zu thun ist. Gewöhnlich wird aber bey der Privaterziehung das vierte wichtigste Stück noch wenig in Ausübung gebracht, denn man erzieht die Kinder im Wesentlichen so, daß man die Moralisirung dem Prediger überläßt. Wie unendlich wichtig ist es aber nicht, die Kinder von Jugend auf das Laster verabscheuen zu lehren, nicht gerade allein aus dem Grunde, weil Gott es verboten hat, sondern weil es in sich selbst verabscheuungswürdig ist *). Sonst nämlich kommen sie leicht auf die Gedanken, daß sie es wohl immer würden ausüben können, und daß es übrigens wohl würde erlaubt seyn, wenn Gott es nur nicht verboten hätte, und daß Gott daher wohl einmal eine Ausnahme machen könne. Gott ist das heiligste Wesen, und will nur das, was gut ist, und verlangt, daß wir die Tugend ihres innern Werthes wegen, ausüben sollen, und nicht deswegen, weil er es verlangt.
Wir leben im Zeitpunkte der Disciplinirung, Kultur und Civilisirung, aber noch lange nicht in dem Zeitpunkte der Moralisirung. Bey dem jetzigen Zustande der Menschen kann man sagen, daß das Glück der Staaten zugleich mit dem Elende der Menschen wachse. Und es ist noch die Frage, ob wir im rohen Zustande, da alle diese Kultur bey uns nicht Statt fände, nicht glücklicher, als in unserem jetzigen Zustande seyn würden?
Denn wie kann man Menschen glücklich machen, wenn man sie nicht sittlich und weise macht? Die Quantität des Bösen wird dann nicht vermindert.
Erst muß man Experimentalschulen errichten, ehe man Normalschulen errichten kann. Die Erziehung und Unterweisung muß nicht blos mechanisch seyn, sondern auf Prinzipien beruhen. Doch darf sie auch nicht blos raisonnirend, sondern gleich, in gewisser Weise, Mechanismus seyn. In Oesterreich gab es meistens nur Normalschulen, die nach einem Plan errichtet waren, wider den vieles mit Grunde gesagt wurde, und dem man besonders blinden Mechanismus vorwerfen konnte. Nach diesen Normalschulen mußten sich denn alle andere richten, und man weigerte sich sogar, Leute zu befördern, die nicht in diesen Schulen gewesen waren. Solche Vorschriften zeigen, wie sehr die Regierung sich hiermit befasse, und bey einem dergleichen Zwange kann wohl unmöglich etwas Gutes gedeihen.
Man bildet sich zwar insgemein ein, daß Experimente bey der Erziehung nicht nöthig wären, und daß man schon aus der Vernunft urtheilen könne, ob etwas gut, oder nicht gut seyn werde. Man irrt hierin aber sehr, und die Erfahrung lehrt, daß sich oft bei unsern Versuchen ganz entgegengesetzte Wirkungen zeigen, von denen, die man erwartete. Man sieht also, daß, da es auf Experimente ankommt, kein Menschenalter einen völligen Erziehungsplan darstellen kann. Die einzige Experimentalschule, die hier gewissermaßen den Anfang machte, die Bahn zu brechen, war das Dessauische Institut. Man muß ihm diesen Ruhm lassen, ohngeachtet der vielen Fehler, die man ihm zum Vorwurfe
machen könnte; Fehler, die sich bey allen Schlüssen, die man aus Versuchen macht, vorfinden, daß nämlich noch immer neue Versuche dazu gehören. Es war in gewisser Weise die einzige Schule, bey der die Lehrer die Freyheit hatten, nach eigenen Methoden und Planen zu arbeiten, und wo sie unter sich sowohl, als auch mit allen Gelehrten in Deutschland in Verbindung standen.
Die Erziehung schließen Versorgung und Bildung in sich. Diese ist 1) negativ, die Disciplin, die blos Fehler abhält. 2) positiv, die Unterweisung und Anführung, und gehört in so ferne zur Kultur. Anführung ist die Leitung in der Ausübung desjenigen, was man gelehrt hat. Daher entsteht der Unterschied zwischen Informator, der blos ein Lehrer, und Hofmeister, der ein Führer ist. Jener erzieht blos für die Schule, dieser für das Leben.
Die erste Epoche bei dem Zöglinge ist die, da er Unterwürfigkeit und einen passiven Gehorsam beweisen muß; die andere, da man ihm schon einen Gebrauch von der Ueberlegung und seiner Freyheit, doch unter Gesetzen, machen läßt. In der ersten ist ein mechanischer, in der andern ein moralischer Zwang.
Die Erziehung ist entweder eine Privat- oder eine öffentliche Erziehung. Letztere betrifft nur die Information, und diese kann immer öffentlich bleiben. Die Ausübung der Vorschriften wird der erstern
überlassen. Eine vollständige öffentliche Erziehung ist diejenige, die beydes, Unterweisung und moralische Bildung, vereinigt. Ihr Zweck ist: Beförderung einer guten Privaterziehung. Eine Schule, in der dieses geschieht, nennt man ein Erziehungsinstitut. Solcher Institute können nicht viele, und die Anzahl der Zöglinge in denselben, kann nicht groß seyn, weil sie sehr kostbar sind, und ihre bloße Einrichtung schon sehr vieles Geld erfordert. Es verhält sich mit ihnen, wie mit den Armenhäusern und Hospitälern. Die Gebäude, die dazu erfordert werden, die Besoldung der Direktoren, Aufseher und Bedienten, nehmen schon die Hälfte von dem dazu ausgesetzten Gelde weg, und es ist ausgemacht, daß, wenn man dieses Geld den Armen in ihre Häuser schickte, sie viel besser verpflegt werden würden. Daher ist es auch schwer, daß andere, als blos reicher Leute Kinder, an solchen Instituten Theil nehmen können.
Der Zweck solcher öffentlicher Institute ist: die Vervollkommnung der häuslichen Erziehung. Wenn erst nur die Eltern, oder andere, die ihre Mitgehülfen in der Erziehung sind, gut erzogen wären: so könnte der Aufwand der öffentlichen Institute wegfallen. In ihnen sollen Versuche gemacht, und Subjekte gebildet werden, und so soll aus ihnen dann eine gute häusliche Erziehung entspringen.
Die Privaterziehung besorgen entweder die Eltern selbst, oder, da diese bisweilen nicht Zeit, Fähigkeit, oder auch wohl gar nicht Lust dazu haben, andere Personen, die besoldete Mitgehülfen sind. Bey der Erziehung durch diese Mitgehülfen findet sich aber der sehr schwierige Umstand, daß die Auctorität zwischen den
Eltern und diesen Hofmeistern getheilt ist. Das Kind soll sich nach den Vorschriften der Hofmeister richten, und dann auch wieder den Grillen der Eltern folgen. Es ist bey einer solchen Erziehung nothwendig, daß die Eltern ihre ganze Auctorität an die Hofmeister abtreten.
In wie ferne dürfte aber die Privaterziehung vor der öffentlichen, oder diese vor jener, Vorzüge haben? Im Allgemeinen scheint doch, nicht blos von Seiten der Geschicklichkeit, sondern auch in Betreff des Charakters eines Bürgers, die öffentliche Erziehung vortheilhafter, als die häusliche zu seyn. Die letztere bringt gar oft nicht nur Familienfehler hervor, sondern pflanzt dieselben auch fort.
Wie lange aber soll die Erziehung denn dauren? Bis zu der Zeit, da die Natur selbst den Menschen bestimmt hat, sich selbst zu führen; da der Instinkt zum Geschlechte sich bey ihm entwickelt; da er selbst Vater werden kann, und selbst erziehen soll; ohngefähr bis zu dem sechzehnten Jahre. Nach dieser Zeit kann man wohl noch Hülfsmittel der Kultur gebrauchen und eine versteckte Disciplin ausüben, aber keine ordentliche Erziehung mehr.
Die Unterwürfigkeit des Zöglings ist entweder positiv, da er thun muß, was ihm vorgeschrieben wird, weil er nicht selbst urtheilen kann, und die bloße Fähigkeit der Nachahmung noch in ihm fortdauert, oder negativ, da er thun muß, was Andere wollen, wenn er will, daß Andere ihm wieder etwas zu Gefallen thun sollen. Bey der ersten tritt Strafe ein, bey der anderen dies, daß man nicht thut, was er will; er ist
hier, obwohl er bereits denken kann, dennoch in seinem Vergnügen abhängig.
Eines der größten Probleme der Erziehung ist, wie man die Unterwerfung unter den gesetzlichen Zwang mit der Fähigkeit, sich seiner Freyheit zu bedienen, vereinigen könne. Denn Zwang ist nöthig! Wie kultivire ich die Freyheit bei dem Zwange? Ich soll meinen Zögling gewöhnen, einen Zwang seiner Freyheit zu dulden, und soll ihn selbst zugleich anführen, seine Freyheit gut zu gebrauchen. Ohne dies ist alles bloßer Mechanism, und der, der Erziehung Entlassene, weiß sich seiner Freyheit nicht zu bedienen. Er muß früh den unvermeidlichen Widerstand der Gesellschaft fühlen, um die Schwierigkeit, sich selbst zu erhalten, zu entbehren, und zu erwerben, um unabhängig zu seyn, kennen lernen.
Hier muß man folgendes beobachten: 1) daß man das Kind, von der ersten Kindheit an, in allen Stücken frey seyn lasse; (ausgenommen in den Dingen, wo es sich selbst schadet, z. E. wenn es nach einem blanken Messer greift,) wenn es nur nicht auf die Art geschieht, dass es Anderer Freyheit im Wege ist, z. E. wenn es schreyet, oder auf eine allzulaute Art lustig ist, so beschwert es Andere schon. 2) Muß man ihm zeigen, daß es seine Zwecke nicht anders erreichen könne, als nur dadurch, daß es Andere ihre Zwecke auch erreichen lasse, z. E. das man ihm kein Vergnügen mache, wenn es nicht thut, was man will, daß es lernen soll etc. 3) Muß man ihm beweisen, daß man ihm einen Zwang auflegt, der es zum Gebrauche seiner eigenen Freyheit führt, daß man es kultivire, damit es einst frey seyn könne, d. h. nicht
von der Vorsorge Anderer abhangen dürfe. Dieses letzte ist das späteste. Denn bey den Kindern kommt die Betrachtung erst spät, daß man sich z. E. nachher selbst um seinen Unterhalt bekümmern müsse. Sie meynen, das werde immer so seyn, wie in dem Hause der Eltern, daß sie Essen und Trinken bekommen, ohne daß sie dafür sorgen dürfen. Ohne jene Behandlung sind Kinder, besonders reicher Eltern, und Fürstensöhne, so wie die Einwohner von Otaheite, das ganze Leben hindurch Kinder. Hier hat die öffentliche Erziehung ihre augenscheinlichste Vorzüge, denn bey ihr lernet man seine Kräfte messen, man lernet Einschränkung durch das Recht Anderer. Hier genießt keiner Vorzüge, weil man überall Widerstand fühlt, weil man sich nur dadurch bemerklich macht, daß man sich durch Verdienst hervorthut. Sie gibt das beste Vorbild des künftigen Bürgers.
Aber noch einer Schwierigkeit muß hier gedacht werden, die darin besteht, die Geschlechtskenntniß zu anticipiren; um schon vor dem Eintritte der Mannbarkeit, Laster zu verhüten. Doch davon soll noch weiter unten gehandelt werden.
Die Pädagogik oder Erziehungslehre ist entweder physisch oder praktisch. Die physische Erziehung ist diejenige, die der Mensch mit den Thieren gemein hat, oder die Verpflegung. Die praktische oder moralische ist diejenige, durch die der Mensch soll gebildet werden, damit er wie ein freihandelndes Wesen leben könne. (Praktisch nennt man alles dasjenige, was Beziehung auf Freyheit hat.) Sie ist Erziehung zur Persönlichkeit, Erziehung eines frey handelnden Wesens, das sich selbst erhalten, und in der Gesellschaft ein Glied ausmachen, für sich selbst aber einen innern Werth haben kann.
Sie besteht demnach 1) aus der scholastisch-mechanischen Bildung, in Ansehung der Geschicklichkeit; ist also didaktisch (Informator), aus der pragmatischen, in Ansehung der Klugheit (Hofmeister), 3) aus der moralischen, in Ansehung der Sittlichkeit.
Der scholastischen Bildung oder der Unterweisung bedarf der Mensch, um zur Erreichung aller seiner Zwecke geschickt zu werden. Sie giebt ihm einen Werth in Ansehung seiner selbst als Individuum. Durch die Bildung zur Klugheit aber wird er zum Bürger gebildet, da bekommt er einen öffentlichen Werth. Da lernt er sowohl die bürgerliche Gesellschaft zu seiner Absicht lenken, als sich auch in die bürgerliche Gesellschaft schicken. Durch die moralische Bildung endlich bekommt er einen Werth, in Ansehung des ganzen menschlichen Geschlechts.
Die scholastische Bildung ist die früheste und erste. Denn alle Klugheit setzt Geschicklichkeit voraus. Klugheit ist das Vermögen, seine Geschicklichkeit gut an den Mann zu bringen. Die moralische Bildung, in so ferne sie auf Grundsätzen beruhet, die der Mensch selbst einsehen soll, ist die späteste; in so fern sie aber nur auf dem gemeinen Menschenverstande beruht, muß sie gleich von Anfang, auch gleich bey der physischen Erziehung beobachtet werden, denn sonst wurzeln sich leicht Fehler ein, bey denen nachher alle Erziehungskunst vergebens arbeitet. In Ansehung der Geschicklichkeit und Klugheit muß alles nach den Jahren gehen. Kindisch geschickt, kindisch klug und gutartig, nicht listig, auf männliche Art; das taugt eben so wenig, als eine kindische Sinnesart des Erwachsenen.
Ob auch gleich derjenige, der eine Erziehung als Hofmeister übernimmt, die Kinder nicht so früh unter
seine Aufsicht bekommt, daß er auch für die physische Erziehung derselben Sorge tragen kann: so ist es doch nützlich zu wissen, was Alles bey der Erziehung von ihrem Anfange an, bis zu ihrem Ende zu beobachten, nöthig ist. Wenn man es auch als Hofmeister, nur mit größern Kindern zu thun hat, so geschieht es doch wohl, daß in dem Hause neue Kinder gebohren werden, und, wenn man sich gut führt, so hat man immer Ansprüche darauf, der Vertraute der Eltern zu seyn, und auch bey der physischen Erziehung von ihnen zu Rathe gezogen zu werden, da man ohnedem oft nur der einzige Gelehrte im Hause ist. Daher sind einem Hofmeister auch Kenntnisse hievon nöthig.
Die physische Erziehung ist eigentlich nur Verpflegung, entweder durch Eltern, oder Ammen, oder Wärterinnen. Die Nahrung, die die Natur dem Kinde bestimmt hat, ist die Muttermilch. Daß das Kind mit ihr Gesinnungen einsauge, wie man oft sagen hört: du hast das schon mit der Muttermilch eingesogen! ist ein bloßes Vorurtheil *). Es ist der Mutter und dem Kinde am zuträglichsten, wenn die Mutter selbst säuget. Doch finden auch hier im äußersten Falle, wegen kränklicher Umstände, Ausnahmen Statt. Man glaubte vor Zeiten, daß die erste Milch, die sich nach der Geburt bey der Mutter findet und molkicht ist, dem Kinde schädlich sey, und daß die Mutter sie erst fortschaffen
müsse, ehe sie das Kind säugen könne. Rousseau machte aber zuerst die Aerzte aufmerksam darauf, ob diese erste Milch nicht auch dem Kinde zuträglich seyn könne, indem doch die Natur nichts umsonst veranstaltet habe. Und man hat auch würklich gefunden, daß diese Milch am besten den Unrath, der sich bey neugebornen Kindern vorfindet, und den die Aerzte Miconium nennen, fortschaffe, und also den Kindern höchst zuträglich sey.
Man hat die Frage aufgeworfen: ob man nicht das Kind eben so wohl mit thierischer Milch nähren könne? Menschenmilch ist sehr von der thierischen verschieden. Die Milch aller Grasfressenden, von Vegetabilien lebenden Thiere, gerinnet sehr bald, wenn man etwas Säure hinzuthut, z. E. Weinsäure im Kälbermagen, die man Lab oder Laff nennet. Menschenmilch gerinnt aber gar nicht. Wenn aber die Mütter oder Ammen einige Tage hindurch nur vegetabilische Kost genießen: so gerinnt ihre Milch so gut, wie die Kuhmilch etc., wenn sie dann aber nur einige Zeit hindurch wieder Fleisch essen; so ist die Milch auch wieder eben so gut, wie vorhin. Man hat hieraus geschlossen, daß es am besten und dem Kinde am zuträglichsten sey, wenn Mütter oder Ammen unter der Zeit, daß sie säugen, Fleisch äßen. Denn wenn Kinder die Milch wieder von sich geben, so sieht man, daß sie geronnen ist. Die Säure im Kindermagen muß also noch mehr, als alle andere Säuren, das Gerinnen der Milch befördern, weil Menschenmilch sonst auf keine Weise zum Gerinnen gebracht werden kann. Wie viel schlimmer wäre es also, wenn man dem Kinde Milch gäbe, die schon von selbst gerinnet, daß es aber auch nicht blos hierauf ankomme, sieht man an andern Nationen.
Die Waldtongusen z. E. essen fast nichts als Fleisch; und sind starke und gesunde Leute. Alle solche Völker leben aber auch nicht lang, und man kann einen grossen erwachsenen Jungen, dem man es nicht ansehen sollte, daß er leicht sey, mit geringer Mühe aufheben. Die Schweden hingegen, vorzüglich aber die Nationen in Indien, essen fast gar kein Fleisch, und doch werden die Menschen bey ihnen ganz wohl aufgezogen. Es scheint also, daß es blos auf das Gedeihen der Amme ankomme, und dass die Kost die beste sey, bey der sie sich am besten befindet.
Es fragt sich hier, was man nachher habe, um das Kind zu ernähren, wenn die Muttermilch nun aufhört? Man hat es seit einiger Zeit mit allerley Mehlbreyen versucht. Aber von Anfang an das Kind mit solchen Speisen zu ernähren, ist nicht gut. Besonders muß man merken, daß man den Kindern nichts Piquantes gebe, als Wein, Gewürz, Salz etc. Es ist aber doch sonderbar, daß Kinder eine so große Begierde nach dergleichen Allem haben! Die Ursache ist, weil es ihren noch stumpfen Empfindungen einen Reiz und eine Belebung verschafft, die ihnen angenehm sind. Die Kinder in Rußland erhalten freylich von ihren Müttern, die selbst fleißig Brantwein trinken, auch dergleichen, und man bemerkt dabey, daß die Russen gesunde, starke Leute sind. Freylich müssen diejenigen, die das aushalten, von guter Leibesconstitution seyn; aber es sterben auch viele daran, die doch hätten erhalten werden können. Denn ein solcher früher Reiz der Nerven bringt viele Unordnungen hervor *). Sogar
schon für zu warme Speisen oder Getränke muß man die Kinder sorgfältig hüten, denn auch diese verursachen Schwäche.
Ferner ist zu bemerken, daß Kinder nicht sehr warm gehalten werden müssen, denn ihr Blut ist an sich schon viel wärmer, als das der Erwachsenen. Die Wärme des Blutes bey Kindern beträgt nach dem Fahrenheitischen Thermometer 110, und das Blut der Erwachsenen nur 96 Grade. Das Kind erstickt in der Wärme, in der sich Aeltere recht wohl befinden. Die kühle Gewöhnung macht überhaupt den Menschen stark. Und es ist auch bey Erwachsenen nicht gut, sich zu warm zu kleiden, zu bedecken und sich an zu warme Getränke zu gewöhnen. Daher bekomme denn das Kind auch ein kühles und hartes Lager. Auch kalte Bäder sind gut *). Kein Reitzmittel darf eintreten, um Hunger bey dem Kinde zu erregen, dieser vielmehr muß immer nur die Folge der Thätigkeit und Beschäftigung seyn. Nichts indessen darf man das Kind sich angewöhnen lassen, so daß es ihm zum Bedürfnisse werde. Auch bey dem Guten sogar, muß man ihm nicht alles durch die Kunst zur Angewohnheit machen.
Das Windeln findet bey rohen Völkern gar nicht Statt. Die wilden Nationen in Amerika z. E. machen für ihre jungen Kinder Gruben in die Erde, streuen sie mit dem Staube von faulen Bäumen aus, damit der Urin und die Unreinigkeiten der Kinder sich darein ziehen, und die Kinder also trocken liegen mögen, und bedecken sie mit Blättern; übrigens aber lassen sie ihnen den freyen Gebrauch ihrer Glieder. Es ist auch blos Bequemlichkeit von uns, daß wir die Kinder wie Mumien einwickeln, damit wir nur nicht Acht geben dürfen darauf, daß sich die Kinder nicht verbiegen, und oft geschieht es dennoch durch das Windeln. Auch ist es den Kindern selbst ängstlich, und sie gerathen dabey in eine Art von Verzweiflung, da sie ihre Glieder gar nicht brauchen können. Da meynt man denn ihr Schreyen durch bloßes Zurufen stillen zu können. Man wickle aber nur einmal einen großen Menschen ein, und sehe doch, ob er nicht auch schreyen, und in Angst und Verzweiflung gerathen werde.
Ueberhaupt muß man merken, daß die erste Erziehung nur negativ seyn müsse, d. h. daß man nicht über die Vorsorge der Natur, noch eine neue hinzuthun müsse, sondern die Natur nur nicht stören dürfe. Ist je die Kunst in der Erziehung erlaubt, so ist es allein die der Abhärtung. – Auch daher ist denn das Windeln zu verwerfen. Wenn man indessen einige Vorsicht beobachten will, so ist eine Art von Schachtel, die oben mit Riemen bezogen ist, hiezu das Zweckmäßigste. Die Italiener gebrauchen sie, und nennen sie arcuccio. Das Kind bleibt immer in dieser Schachtel und wird auch in ihr zum Säugen angelegt. Dadurch wird selbst verhütet, daß die Mutter, wenn sie auch des Nachts, während des Säugens, einschläft, das
Kind doch nicht tod drücken kann *). Bey uns kommen aber auf diese Art viele Kinder ums Leben. Diese Vorsorge ist also besser, als das Windeln, denn die Kinder haben hier doch mehrere Freyheit, und das Verbiegen wird verhütet; da hingegen die Kinder oft durch das Windeln, schief werden.
Eine andere Gewohnheit bey der ersten Erziehung ist das Wiegen. Die leichteste Art desselben ist die, die einige Bauern haben. Sie hängen nämlich die Wiege an einem Seile an den Balken, dürfen also nur anstoßen, so schaukelt die Wiege von selbst von einer Seite zur anderen. Das Wiegen taugt aber überhaupt nicht. Denn das Hin- und Herschaukeln ist dem Kinde schädlich. Man sieht es ja selbst an großen Leuten, daß das Schaukeln eine Bewegung zum Erbrechen und einen Schwindel hervorbringt. Man will das Kind dadurch betäuben, daß es nicht schreye. Das Schreyen ist aber den Kindern heilsam. Sobald sie aus dem Mutterleibe kommen, wo sie keine Luft genossen haben, athmen sie die erste Luft ein. Der dadurch veränderte Gang des Blutes bringt in ihnen eine schmerzhafte Empfindung hervor. Durch das Schreyen aber entfaltet das Kind die innern Bestandtheile und Canäle seines Körpers desto mehr. Daß man dem Kinde, wenn es schreyt, gleich zu Hülfe kommt, ihm etwas vorsingt, wie dies die Gewohnheit der Amme ist, oder dergl., das ist sehr schädlich. Dies ist gewöhnlich
das erste Verderben des Kindes, denn wenn es sieht, daß auf seinen Ruf Alles herbeykommt: so wiederholt es sein Schreyen öfter.
Man kann wohl mit Wahrheit sagen, daß die Kinder der gemeinen Leute viel mehr verzogen werden, als die Kinder der Vornehmen. Denn die gemeinen Leute spielen mit ihren Kindern, wie die Affen. Sie singen ihnen vor, herzen, küssen sie, tanzen mit ihnen. Sie denken also dem Kinde etwas zu gute zu thun, wenn sie, sobald es schreyt, hinzulaufen und mit ihm spielen u. s. w. Desto öfter schreyen sie aber. Wenn man sich dagegen an ihr Schreyen nicht kehrt, so hören sie zuletzt damit auf. Denn kein Geschöpf macht sich gerne eine vergebliche Arbeit. Man gewöhne sie aber nur daran, alle ihre Launen erfüllt zu sehen: so kömmt das Brechen des Willens nachher zu spät. Läßt man sie aber schreyen, so werden sie selbst desselben überdrüssig. Wenn man ihnen aber in der ersten Jugend alle Launen erfüllt, so verdirbt man dadurch ihr Herz und ihre Sitten.
Das Kind hat freylich noch keinen Begriff von Sitten, es wird aber dadurch seine Naturanlage in der Art verdorben, daß man nachher sehr harte Strafen anwenden muß, um das Verdorbene wieder gut zu machen. Die Kinder äußern nachher, wenn man es ihnen abgewöhnen will, daß man immer auf ihr Verlangen hinzueile, bey ihrem Schreyen eine so große Wuth, als nur immer große Leute deren fähig sind, nur daß ihnen die Kräften fehlen, sie in Thätigkeit zu setzen. So lange sie nur haben rufen dürfen, und Alles kam herbey, herrschten sie also ganz despotisch. Wenn diese Herrschaft nun aufhört, so verdrüßt sie das ganz natürlich.
Denn wenn auch große Menschen eine Zeitlang im Besitze einer Macht gewesen sind: so fällt es ihnen sehr schwer, sich geschwinde derselben zu entwöhnen.
Kinder können in der ersten Zeit, ohngefähr in den ersten 3 Monaten, nicht recht sehen. Sie haben zwar die Empfindung vom Lichte, können aber die Gegenstände nicht von einander unterscheiden. Man kann sich davon überzeugen, wenn man ihnen etwas Glänzendes vorhält, so verfolgen sie es nicht mit den Augen *). Mit dem Gesichte findet sich auch das Vermögen zu lachen und zu weinen. Wenn das Kind nun in diesem Zustande ist, so schreyt es mit Reflexion, sie sey auch noch so dunkel, als sie wolle. Es meynt dann immer, es sey ihm etwas zu Leide gethan. Rousseau sagt: wenn man einem Kinde, das nur ungefähr sechs Monate alt ist, auf die Hand schlägt: so schreyt es in der Art, als wenn ihm ein Feuerbrand auf die Hand gefallen wäre. Es verbindet hier schon würklich den Begriff einer Beleidigung. Die Eltern
reden gemeiniglich sehr viel von dem Brechen des Willens bey den Kindern. Man darf ihren Willen nicht brechen, wenn man ihn nicht erst verdorben hat. Dies ist aber das erste Verderben, wenn man dem despotischen Willen der Kinder willfahret, indem sie durch ihr Schreyen Alles erzwingen können. Aeußerst schwer ist es noch nachher, dies wieder gut zu machen, und es wird kaum je gelingen *). Man kann wohl machen, daß das Kind stille sey, es frißt aber die Galle in sich, und hegt desto mehr innerliche Wuth. Man gewöhnt es dadurch zur Verstellung und innern Gemüthsbewegungen. So ist es z. E. sehr sonderbar, wenn Eltern verlangen, daß die Kinder, nachdem sie sie mit der Ruthe geschlagen haben, ihnen die Hände küssen sollen. Man gewöhnt sie dadurch zur Verstellung und Falschheit. Denn die Ruthe ist doch eben nicht so ein schönes Geschenk, für das man sich noch bedanken darf, und man kann leicht denken, mit welchem Herzen das Kind dann die Hand küßt.
Man bedient sich gewöhnlich, des Leitbandes und Gängelwagens. Es ist doch auffallend, daß man die Kinder das Gehen lehren will, als wenn irgend ein Mensch aus Mangel des Unterrichtes nicht hätte gehen können. Die Leitbänder sind besonders sehr schädlich. Ein Schriftsteller klagte einst über Engbrüstigkeit, die er blos dem Leitbande zuschrieb. Denn da ein Kind nach allem greift, und alles von der Erde aufhebt, so legt es sich mit der Brust in das Leitband. Da die Brust aber noch weich ist, so wird sie platt gedrückt,
und behält nachher auch diese Form. Die Kinder lernen bey dergleichen Hülfsmitteln auch nicht so sicher gehen, als wenn sie dies von selbst lernen. Am besten ist es, wenn man sie auf der Erde herumkriechen läßt, bis sie nach und nach von selbst anfangen zu gehen. Zur Vorsicht kann man die Stube mit wollenen Decken ausschlagen, damit sie sich nicht Splitter einreißen, auch nicht so hart fallen.
Man sagt gemeinhin, daß Kinder sehr schwer fallen. Außerdem aber, daß Kinder nicht einmal schwer fallen können, so schadet es ihnen auch nicht, wenn sie einmal fallen. Sie lernen nur, sich desto besser das Gleichgewicht geben, und sich so zu wenden, daß ihnen der Fall nicht schadet. Man setzt ihnen gewöhnlich die sogenannten Butzmützen auf, die so weit vorstehen, daß das Kind nie auf das Gesicht fallen kann. Das ist aber eben eine negative Erziehung, wenn man künstliche Instrumente anwendet, da, wo das Kind natürliche hat. Hier sind die natürlichen Werkzeuge die Hände, die sich das Kind bey dem Fallen schon vorhalten wird. Je mehrere künstliche Werkzeuge man gebraucht, desto abhängiger wird der Mensch von Instrumenten.
Ueberhaupt wäre es besser, wenn man im Anfange weniger Instrumente gebrauchte, und die Kinder mehr von selbst lernen ließe, sie möchten dann manches viel gründlicher lernen. So wäre es z. B. wohl möglich, daß das Kind von selbst schreiben lernte. Denn Jemand hat es doch einmal erfunden, und die Erfindung ist nicht so sehr groß. Man dürfte nur z. E., wenn das Kind Brod will, sagen: Kannst du es auch wohl mahlen? Das Kind würde dann eine ovale
Figur mahlen. Man dürfte ihm dann nur sagen, daß man nun doch nicht wisse, ob es Brod oder einen Stein vorstellen solle; so würde es nachher versuchen, das B zu bezeichnen u. s. w. und so würde sich das Kind mit der Zeit sein eigenes A B C erfinden, das es hernach nur mit andern Zeichen vertauschen dürfte *).
Es giebt gewisse Gebrechen, mit denen einige Kinder auf die Welt kommen. Hat man denn nicht Mittel, diese fehlerhafte, gleichsam verpfuschte Gestalt wieder zu verbessern? Es ist durch die Bemühung vieler und kenntnißreicher Schriftsteller ausgemacht, daß Schnürbrüste hier nichts helfen, sondern das Uebel nur noch ärger machen, indem sie den Umlauf des Blutes und der Säfte, so wie die höchst nöthige Ausdehnung der äußern und innern Theile des Körpers hindern. Wenn das Kind frey gelassen wird, so exerciert es noch seinen Leib, und ein Mensch, der eine Schnürbrust trägt, ist, wenn er sie ablegt, viel schwächer,
als einer, der sie nie angelegt hat. Man könnte denen, die schief gebohren sind, vielleicht helfen, wenn man auf die Seite, wo die Muskeln stärker sind, mehr Gewicht legte. Dies ist aber auch sehr gefährlich: denn welcher Mensch kann das Gleichgewicht ausmachen? Am besten ist, daß das Kind sich selbst übe, und eine Stellung annehme, wenn sie ihm gleich beschwerlich wird, denn alle Maschinen richten hier nichts aus.
Alle dergleiche künstliche Vorrichtungen sind um so nachtheiliger, da sie dem Zwecke der Natur in einem organisirten, vernünftigen Wesen gerade zuwider laufen, dem zufolge ihm die Freyheit bleiben muß, seine Kräfte brauchen zu lernen. Man soll bey der Erziehung nur verhindern, daß Kinder nicht weichlich werden. Abhärtung aber ist das Gegentheil von Weichlichkeit. Man wagt zu viel, wenn man Kinder an alles gewöhnen will. Die Erziehung der Russen geht hierin sehr weit. Es stirbt dabey aber auch eine unglaubliche Zahl von Kindern. Die Angewohnheit ist, ein durch öftere Wiederholung desselben Genusses, oder derselben Handlung, zur Nothwendigkeit gewordener Genuß, oder Handlung. Nichts können sich Kinder leichter angewöhnen, und nichts muß man ihnen also weniger geben, als piquante Sachen, z. E. Toback, Brantwein, und warme Getränke. Die Entwöhnung dessen ist nachher sehr schwer, und anfänglich mit Beschwerden verbunden, weil durch den öftern Genuß eine Veränderung in den Functionen unsers Körpers vorgegangen ist.
Je mehr aber der Angewohnheiten sind, die ein Mensch hat, desto weniger ist er frey und unabhängig.
Bey dem Menschen ist es, wie bey allen andern Thieren, wie es frühe gewöhnt wird, so bleibt auch nachher ein gewisser Hang bey ihm. Man muß also verhindern, daß sich das Kind an nichts gewöhne; man muß keine Angewohnheit bey ihm entstehen lassen.
Viele Eltern wollen ihre Kinder an Alles gewöhnen. Dieses taugt aber nicht. Denn die menschliche Natur überhaupt, theils auch die Natur der einzelnen Subjekte, läßt sich nicht an Alles gewöhnen, und es bleiben viele Kinder in der Lehre. So wollen sie z. E., daß die Kinder zu aller Zeit sollen schlafen gehen und aufstehen können, oder daß sie essen sollen, wenn sie es verlangen. Es gehört aber eine besondere Lebensart dazu, wenn man dieses aushalten soll, eine Lebensart, die den Leib roborirt, und das also wieder gut macht, was jenes verdorben hat. Finden wir doch auch in der Natur manches periodische. Die Thiere haben auch ihre bestimmte Zeit zum Schlafen. Der Mensch sollte sich auch an eine gewisse Zeit gewöhnen, damit der Körper nicht in seinen Funktionen gestört werde *). Was das andere anbetrifft, daß die Kinder
zu allen Zeiten sollen essen können, so kann man hier wohl nicht die Thiere zum Beyspiele anführen. Denn weil z. E. alle Gras fressende Thiere wenig Nahrhaftes zu sich nehmen, so ist das Fressen bey ihnen ein ordentliches Geschäft. Es ist aber dem Menschen sehr zuträglich, wenn er immer zu einer bestimmten Zeit ißt. So wollen manche Eltern, daß ihre Kinder große Kälte, Gestank, alles und jedes Geräusch und dergl. sollen ertragen können. Dies ist aber gar nicht nöthig, wenn sie sich nur nichts angewöhnen. Und dazu ist es sehr dienlich, daß man die Kinder in verschiedene Zustände versetze.
Ein hartes Lager ist viel gesünder, als ein weiches. Ueberhaupt dient eine harte Erziehung sehr zur Stärkung des Körpers. Durch harte Erziehung verstehen wir aber blos Verhinderung der Gemächlichkeit. An merkwürdigen Beyspielen zur Bestätigung dieser Behauptung mangelt es nicht, nur daß man sie nicht beachtet, oder, richtiger gesagt, nicht beachten will.
Was die Gemüthsbildung betrifft, die man würklich auch in gewisser Weise physisch nennen kann, so ist hauptsächlich zu merken, das die Disciplin nicht sclavisch sey, sondern das Kind muß immer seine Freyheit fühlen, doch so, daß es nicht die Freyheit Anderer hindere; es muß daher Widerstand finden. Manche Eltern schlagen ihren Kindern Alles ab, um dadurch die Geduld der Kinder zu exerzieren, und fordern demnach mehr Geduld von den Kindern, als sie deren selbst haben. Dies ist aber grausam. Man gebe dem Kinde, soviel ihm dient, und nachher sage man ihm: du hast genug! Aber, daß dies dann unwiderruflich sey, ist schlechterdings nöthig. Man merke
nur nicht auf das Schreyen der Kinder, und willfahre ihnen nur nicht, wenn sie etwas durch Geschrey erzwingen wollen: was sie aber mit Freundlichkeit bitten, das gebe man ihnen, wenn es ihnen dient. Das Kind wird dadurch auch gewöhnt, freymüthig zu seyn, und da es keinem durch sein Schreyen lästig fällt, so ist auch hinwieder gegen dasselbe jeder freundlich. Die Vorsehung scheint wahrlich den Kindern freundliche Mienen gegeben zu haben, damit sie die Leute zu ihrem Vortheile einnehmen möchten. Nichts ist schädlicher als eine neckende, sclavische Disciplin, um den Eigenwillen zu brechen.
Gemeinhin ruft man den Kindern ein: Pfuy, schäme dich, wie schickt sich das! u. s. w. zu. Dergleichen sollte aber bey der ersten Erziehung gar nicht vorkommen. Das Kind hat noch keine Begriffe von Schaam und vom Schicklichen, es hat sich nicht zu schämen, soll sich nicht schämen, und wird dadurch nur schüchtern. Es wird verlegen bey dem Anblicke Anderer, und verbirgt sich gerne vor andern Leuten. Dadurch entsteht Zurückhaltung, und ein nachtheiliges Verheimlichen. Es wagt nichts mehr zu bitten, und sollte doch um Alles bitten können; es verheimlicht seine Gesinnung, und scheint immer anders, als es ist, statt daß es freymüthig Alles müßte sagen dürfen. Statt immer um die Eltern zu seyn, meidet es sie, und wirft sich dem willfährigen Hausgesinde in die Arme.
Um nichts besser aber, als jene neckende Erziehung, ist das Vertändeln und ununterbrochene Liebkosen. Dieses bestärkt das Kind im eigenen Willen, macht es falsch, und indem es ihm eine Schwachheit
der Eltern verräth, raubt es ihnen die nöthige Achtung in den Augen des Kindes. Wenn man es aber so erzieht, daß es nichts durch Schreyen ausrichten kann, so wird es frey, ohne dummdreist, und bescheiden, ohne schüchtern zu seyn. Dreist sollte man eigentlich dräust schreiben, denn es kömmt von dräuen, drohen her. Einen dräusten Menschen kann man nicht wohl leiden. Manche Menschen haben solche dreiste Gesichter, daß man sich immer vor einer Grobheit von ihnen fürchten muß, so wie man andern Gesichtern es gleich ansehen kann, daß sie nicht im Stande sind, jemanden eine Grobheit zu sagen. Man kann immer freymüthig aussehen, wenn es nur mit einer gewissen Güte verbunden ist. Die Leute sagen oft von vornehmen Männern, sie sähen recht königlich aus. Dies ist aber weiter nichts, als ein gewisser dreister Blick, den sie von Jugend auf angewöhnt haben, weil man ihnen da nicht widerstanden hat.
Alles dieses kann man noch zur negativen Bildung rechnen. Denn viele Schwächen des Menschen kommen oft nicht davon her, weil man ihm nichts gelehrt, sondern weil ihm noch falsche Eindrücke beygebracht sind. So z. E. bringen die Ammen den Kindern eine Furcht vor Spinnen, Kröten u. s. w. bey. Die Kinder möchten gewiß nach den Spinnen eben so, wie nach anderen Dingen greifen. Weil aber die Ammen, sobald sie eine Spinne sehen, ihren Abscheu durch Mienen bezeigen: so würkt dies durch eine gewisse Sympathie auf das Kind. Viele behalten diese Furcht ihr ganzes Leben hindurch und bleiben darin immer kindisch. Denn Spinnen sind zwar den Fliegen gefährlich, und ihr Biß ist für sie giftig, dem Menschen schaden sie aber nicht. Und eine Kröte ist ein
eben so unschuldiges Thier, als ein schöner grüner Frosch, oder irgend ein anderes Thier.
Der positive Theil der physischen Erziehung ist die Kultur. Der Mensch ist, in Beziehung auf dieselbe, von dem Thiere verschieden. Sie besteht vorzüglich in der Uebung seiner Gemüthskräfte. Deswegen müssen Eltern ihrem Kinde dazu Gelegenheit geben. Die erste und vornehmste Regel hiebei ist, daß man, so viel als möglich, aller Werkzeuge entbehre. So entbehrt man gleich anfänglich des Leitbandes und Gängelwagens, und läßt das Kind auf der Erde herumkriechen, bis es von selbst gehen lernet, und dann wird es desto sicherer gehen. Werkzeuge nämlich ruiniren nur die natürliche Fertigkeit. So braucht man eine Schnur, um eine Weite zu messen; man kann dies aber eben so gut durch das Augenmaß bewerkstelligen; eine Uhr, um die Zeit zu bestimmen, man kann es durch den Stand der Sonne; einen Kompaß, um im Walde die Gegend zu wissen, man kann es auch aus dem Stande der Sonne am Tage, und aus dem Stande der Sterne in der Nacht. Ja man kann sogar sagen, anstatt einen Kahn zu brauchen, um auf dem Wasser fortzukommen, kann man schwimmen. Der berühmte Franklin wundert sich, daß nicht Jedermann dieses lernt, da es doch so angenehm und nützlich ist. Er führt auch eine leichte Art an, wie man es von selbst lernen kann. Man lasse in einen Bach, wo, wenn man auf dem Grunde steht, der Kopf wenigstens
außer dem Wasser ist, ein Ey herunter. Nun suche man das Ey zu greifen. Indem man sich bückt, kommen die Füße in die Höhe, und, damit das Wasser nicht in den Mund komme, wird man den Kopf schon in den Nacken legen, und so hat man die rechte Stellung, die zum Schwimmen nöthig ist. Nun darf man nur mit den Händen arbeiten, so schwimmt man. – Es kommt nur darauf an, daß die natürliche Geschicklichkeit kultivirt werde. Oft gehört Information dazu, oft ist das Kind selbst erfindungsreich genug, oder erfindet sich selbst Instrumente.
Was bey der physischen Erziehung, also in Absicht des Körpers, zu beobachten ist, bezieht sich entweder auf den Gebrauch der willkürlichen Bewegung, oder der Organe der Sinne. Bey dem erstern kommt es darauf an, daß sich das Kind immer selbst helfe. Dazu gehört Stärke, Geschicklichkeit, Hurtigkeit, Sicherheit; z. E. daß man auf schmalen Stegen, auf steilen Höhen, wo man eine Tiefe vor sich sieht, auf einer schwankenden Unterlage, gehen könne. Wenn ein Mensch das nicht kann, so ist er auch nicht völlig das, was er seyn könnte. Seit das Dessauische Philantropin hierin mit seinem Muster vorangieng, werden nun auch in andern Instituten mit den Kindern viele Versuche der Art gemacht. Es ist sehr bewunderungswürdig, wenn man liest, wie die Schweizer sich schon von Jugend auf gewöhnen, auf den Gebürgen zu gehen, und zu welcher Fertigkeit sie es darin bringen, so daß sie auf den schmalsten Stegen mit völliger Sicherheit gehen, und über Klüfte springen, bey denen sie es schon nach dem Augenmaße wissen, daß sie gut darüber wegkommen werden. Die meisten Menschen aber fürchten sich vor einem eingebildeten Falle, und diese
Furcht lähmt ihnen gleichsam die Glieder, so daß alsdann ein solches Gehen für sie mit Gefahr verknüpft ist. Diese Furcht nimmt gemeiniglich mit dem Alter zu, und man findet, daß sie vorzüglich bei Männern gewöhnlich ist, die viel mit dem Kopfe arbeiten.
Solche Versuche mit Kindern sind würklich nicht sehr gefährlich. Denn Kinder haben ein, im Verhältnisse zu ihrer Stärke weit geringeres Gewicht als andere Menschen, und fallen also auch nicht so schwer. Ueberdies sind die Knochen bey ihnen auch nicht so spröde und brüchig, als sie es im Alter werden. Die Kinder versuchen auch selbst ihre Kräfte. So sieht man sie z. E. oft klettern, ohne daß sie dabey irgend eine Absicht haben. Das Laufen ist eine gesunde Bewegung, und roborirt den Körper. Das Springen, Heben, Tragen, die Schleuder, das Werfen nach dem Ziele, das Ringen, der Wettlauf, und alle dergleichen Uebungen sind sehr gut. Das Tanzen, in so ferne es kunstmäßig ist, scheint für eigentliche Kinder noch zu früh zu seyn.
Die Uebung im Werfen, theils weit zu werfen, theils auch zu treffen, hat auch die Uebung der Sinne, besonders des Augenmaßes, mit zur Absicht. Das Ballspiel ist eines der besten Kinderspiele, weil auch noch das gesunde Laufen dazu kömmt. Ueberhaupt sind diejenigen Spiele die besten, bey welchen neben den Exercitien der Geschicklichkeit, auch Uebungen der Sinne hinzukommen, z. E. die Uebung des Augenmaßes, über Weite, Größe und Proportion richtig zu urtheilen, die Lage der Oerter nach den Weltgegenden zu finden, wozu die Sonne behülflich seyn muß u. s. w. das Alles sind gute Uebungen. So ist auch die
lokale Einbildungskraft, unter der man die Fertigkeit versteht, sich Alles an den Oertern vorzustellen, an denen man es würklich gesehen hat, etwas sehr vortheilhaftes, z. E. das Vergnügen, sich aus einem Walde herauszufinden, und zwar dadurch, daß man sich die Bäume merket, an denen man vorher vorbeygegangen ist. So auch die memoria localis, daß man z. E. nicht nur wisse, in welchem Buche man etwas gelesen habe, sondern auch, wo es in demselben stehe. So hat der Musiker die Tasten im Kopfe, daß er nicht mehr erst nach ihnen sehen darf. Die Kultur des Gehörs der Kinder ist eben so erforderlich, um durch dasselbe zu wissen, ab etwas weit oder nahe und auf welcher Seite es sey.
Das Blindekuhspiel der Kinder war schon bey den Griechen bekannt, sie nannten es μυϊνδα. Ueberhaupt sind Kinderspiele sehr allgemein. Diejenigen, die man in Deutschland hat, findet man auch in Engelland, Frankreich u. s. w. Es liegt bey ihnen ein gewisser Naturtrieb der Kinder zum Grunde; bey dem Blindekuhspiele z. E. zu sehen, wie sie sich helfen könnten, wenn sie eines Sinnes entbehren müßten. Der Kreisel ist ein besonderes Spiel; doch geben solche Kinderspiele Männern Stoff zum weitern Nachdenken, und bisweilen auch Anlaß zu wichtigen Erfindungen. So hat Segner eine Disputation vom Kreisel geschrieben, und einem englischen Schiffskapitain hat der Kreisel Gelegenheit gegeben, einen Spiegel zu erfinden, durch den man auf dem Schiffe die Höhe der Sterne messen kann.
Kinder haben gerne Instrumente, die Lärm machen, z. E. Trompetchen, Trommelchen und dergl.
Solche taugen aber nichts, weil sie Andern dadurch lästig werden. Dergleichen wäre indessen schon besser, wenn sie sich selbst ein Rohr so schneiden lernten, daß sie darauf blasen könnten. –
Die Schaukel ist auch eine gute Bewegung; selbst Erwachsene brauchen sie zur Gesundheit, nur bedürfen die Kinder dabey der Aufsicht, weil die Bewegung sehr geschwinde werden kann. Der Papierdrache ist ebenfalls ein tadelloses Spiel. Es kultivirt die Geschicklichkeit, indem es auf eine gewisse Stellung dabey in Absicht des Windes ankömmt, wenn er recht hoch steigen soll.
Diesen Spielen zu gut, versagt sich der Knabe andere Bedürfnisse, und lernet so allmählich auch etwas Anderes und mehr entbehren. Zudem wird er dadurch an fortdauernde Beschäftigung gewöhnt, aber eben daher darf es hier auch nicht bloßes Spiel, sondern es muß Spiel mit Absicht und Endzweck seyn. Denn, jemehr auf diese Weise sein Körper gestärkt und abgehärtet wird, um so sicherer ist er vor den verderblichen Folgen der Verzärtlung. Auch die Gymnastik soll die Natur nur lenken, darf also nicht gezwungene Zierlichkeit veranlassen. Disciplin muß zuerst eintreten, nicht aber Information. Hier ist nun aber darauf zu sehen, daß man die Kinder bey der Kultur ihres Körpers auch für die Gesellschaft bilde. Rousseau sagt: „Ihr werdet niemals einen tüchtigen Mann bilden, wenn ihr nicht vorher einen Gassenjungen habt!“ Es kann eher aus einem muntern Knaben ein guter Mann werden, als aus einem naseweisen, klug thuenden Burschen. Das Kind muß in Gesellschaften nur nicht lästig seýn, es muß sich aber auch
nicht einschmeicheln. Es muß auf die Einladung Anderer zutraulich seyn, ohne Zudringlichkeit; freymüthig, ohne Dummdreistigkeit. Das Mittel dazu ist: man verderbe nur nichts, man bringe ihm nicht Begriffe von Anstand bey, durch die es nur schüchtern und menschenscheu gemacht, oder, auf der andern Seite, auf die Idee gebracht wird, sich geltend machen zu wollen. Nichts ist lächerlicher, als altkluge Sittsamkeit, oder naseweiser Eigendünkel des Kindes. Im letztem Falle müssen wir um so mehr das Kind seine Schwächen, aber doch auch nicht zu sehr unsre Ueberlegenheit und Herrschaft empfinden lassen, damit es sich zwar, aus sich selbst ausbilde, aber nur als in der Gesellschaft, wo die Welt zwar groß genug für dasselbe, aber auch für Andre seyn muß.
Toby sagt im Tristram Schandy zu einer Fliege, die ihn lange beunruhiget hatte, indem er sie zum Fenster hinausläßt: „Gehe, du böses Thier, die Welt ist groß genug für mich und dich!“ Und dies könnte jeder zu seinem Wahlspruche machen. Wir dürfen uns nicht einander lästig werden; die Welt ist groß genug für uns Alle.
Wir kommen jetzt zur Kultur der Seele, die man gewissermaßen auch physisch nennen kann. Man muß aber Natur und Freyheit von einander unterscheiden. Der Freyheit gesetze geben, ist ganz etwas anderes, als die Natur bilden. Die Natur des Körpers und
der Seele kommt doch darin überein, daß man ein Verderbniß bey ihrer beyderseitigen Bildung abzuhalten sucht, und daß die Kunst dann noch etwas bey jenem, wie bey dieser hinzusetzt. Man kann die bildung der Seele also gewissermaßen eben so gut physisch nennen, als die Bildung des Körpers.
Diese physische Bildung des Geistes unterscheidet sich aber von der moralischen darin, daß diese nur auf die Freyheit, jene nur auf die Natur abzielt. Ein Mensch kann physisch sehr kultivirt seyn; er kann einen sehr ausgebildeten Geist haben, aber dabey schlecht moralisch kultivirt, doch dabey ein böses Geschöpf seyn.
Die physische Kultur aber muß von der praktischen unterschieden werden, welche letztere pragmatisch oder moralisch ist. Im letztern Falle ist es die Moralisirung, nicht Kultivirung.
Die physische Kultur des Geistes theilen wir ein in die freye und die scholastische. Die freye ist gleichsam nur ein Spiel, die scholastische dagegen macht ein Geschäfte aus, die freye ist die, die immer bey dem Zöglinge beobachtet werden muß: bey der scholastischen aber wird der Zögling wie unter dem Zwange betrachtet. Man kann beschäftiget seyn im Spiele, das nennt man in der Muße beschäftiget seyn; aber man kann auch beschäftiget seyn im Zwange, und das nennt man arbeiten. Die scholastische Bildung soll für das Kind Arbeit, die freye soll Spiel seyn.
Man hat verschiedene Erziehungspläne entworfen, um, welches auch sehr löblich ist, zu versuchen, welche
Methode bey der Erziehung die beste sey. Man ist unter andern auch darauf verfallen, die Kinder alles, wie im Spiele, lernen zu lassen. Lichtenberg hält sich in einem Stücke des Göttingischen Magazins über den Wahn auf, nach welchem man aus den Knaben, die doch schon frühzeitig zu Geschäften gewöhnt werden sollten, weil sie einmahl in ein geschäftiges Leben eintreten müssen, alles spielweise zu machen sucht. Dies thut eine ganz verkehrte Wirkung. Das Kind soll spielen, es soll Erholungsstunden haben, aber es muß auch arbeiten lernen. Die Kultur seiner Geschicklichkeit ist freylich aber auch gut, wie die Kultur des Geistes, aber beyde Arten der Kultur müssen zu verschiedenen Zeiten ausgeübt werden. Es ist ohnedies schon ein besonderes Unglück für den Menschen, daß er so sehr zur Unthätigkeit geneigt ist. Je mehr ein Mensch gefaullenzt hat, desto schwerer entschließt er sich dazu, zu arbeiten.
Bey der Arbeit ist die Beschäftigung nicht an sich selbst angenehm, sondern man unternimmt sie einer andern Absicht wegen. Die Beschäftigung bey dem Spiele dagegen ist an sich angenehm, ohne weiter irgend einen Zweck dabey zu beabsichtigen. Wenn man spazieren geht: so ist das Spazierengehen selbst die Absicht, und je länger also der Gang ist, desto angenehmer ist er uns. Wenn wir aber irgend wohin gehen, so ist die Gesellschaft, die sich an dem Orte befindet, oder sonst etwas, die Absicht unsers Ganges, und wir wählen gerne den kürzesten Weg. So ist es auch mit dem Kartenspiele. Es ist würklich besonders, wenn man sieht, wie vernünftige Männer oft Stundenlang zu sitzen, und Karten zu mischen im Stande sind. Da ergiebt es sich, daß die Menschen nicht so leicht aufhören
Kinder zu seyn. Denn was ist jenes Spiel besser, als das Ballspiel der Kinder? Nicht, daß die Erwachsenen gerade auf dem Stocke reiten, aber sie reiten doch auf andern Steckenpferden.
Es ist von der größten Wichtichkeit, daß Kinder arbeiten lernen. Der Mensch ist das einzige Thier, das arbeiten muß. Durch viele Vorbereitungen muß er erst dahin kommen, daß er etwas zu seinem Unterhalte genießen kann. Die Frage: ob der Himmel nicht gütiger für uns würde gesorgt haben, wenn er uns Alles schon bereitet, hätte vorfinden lassen, so, daß wir gar nicht arbeiten dürften? ist gewiß mit Nein zu beantworten: denn der Mensch verlangt Geschäfte, auch solche, die einen gewissen Zwang mit sich führen *).
Eben so falsch ist die Vorstellung, daß wenn Adam und Eva nur im Paradiese geblieben wären, sie da nichts würden getan, als zusammengesessen, arkadische Lieder gesungen, und die Schönheit der Natur betrachtet haben. Die Langeweile würde sie gewiß eben so gut, als andere Menschen, in einer ähnlichen Lage gemartert haben.
Der Mensch muß auf eine solche Weise occupirt seyn, daß er mit dem Zwecke, den er vor Augen hat, in der Art erfüllt ist, daß er sich gar nicht fühlt, und die beste Ruhe für ihn, ist die nach der Arbeit. Das Kind muß also zum arbeiten gewöhnt werden. Und wo anders soll die Neigung zur Arbeit kultivirt werden, als in der Schule? Die Schule ist eine zweckmäßige Kultur. Es ist äußerst schädlich, wenn man das Kind dazu gewöhnt, Alles als Spiel zu betrachten. Es muß Zeit haben, sich zu erholen, aber es muß auch eine Zeit für dasselbe seyn, in der es arbeitet. Wenn auch das Kind es nicht gleich einsieht, wozu dieser Zwang nütze: so wird es doch in Zukunft den großen Nutzen davon gewahr werden. Es würde überhaupt nur den Vorwitz der Kinder sehr verwöhnen,
wenn man ihre Frage: Wozu ist das? und wozu das? immer beantworten wollte. Zwangmäßig muß die Erziehung seyn, aber sclavisch darf sie deshalb nicht seyn.
Was die freye Kultur der Gemüthskräfte anbetrifft, so ist zu bemerken, daß sie immer fortgeht. Sie muß eigentlich die obern Kräfte betreffen. Die untern werden immer nebenbey kultivirt, aber nur in Rücksicht auf die obern; der Witz z. E. in Rücksicht auf den Verstand. Die Hauptregel hiebey ist, daß keine Gemüthskraft einzeln für sich, sondern jede nur in Beziehung auf die andere müsse kultivirt werden; z. E. die Einbildungskraft, nur zum Vortheile des Verstandes.
Die untern Kräfte haben für sich allein keinen Wert, z. E. ein Mensch, der viel Gedächtniß, aber keine Beurtheilungskraft hat. Ein solcher ist dann ein lebendiges Lexikon. Auch solche Lastesel des Parnasses sind nöthig, die, wenn sie gleich selbst nichts Gescheutes leisten können, doch Materialien herbeischleppen; damit Andere etwas Gutes daraus zu Stande bringen können. – Witz giebt lauter Albernheiten, wenn die Urtheilskraft nicht hinzu kömmt. Verstand ist die Erkenntniß des Allgemeinen. Urtheilskraft ist die Anwendung des Allgemeinen auf das Besondere. Vernunft ist das Vermögen, die Verknüpfung des Allgemeinen mit dem Besondern einzusehen. Diese freye Kultur geht ihren Gang fort von Kindheit auf, bis zu der Zeit, da der Jüngling aller Erziehung entlassen wird. Wenn ein Jüngling z. E. eine allgemeine Regel anführt, so kann man ihm Fälle aus der Geschichte, Fabeln, in die diese Regel verkleidet ist, Stellen aus Dichtern, wo sie schon ausgedrückt ist, anführen lassen,
und so ihm Anlaß geben, seinen Witz, sein Gedächtniß u. s. w. zu üben.
Der Ausspruch tantum scimus, quantum memoria tenemus hat freylich seine Richtigkeit, und daher ist die Kultur des Gedächtnisses sehr nothwendig. Alle Dinge sind so beschaffen, daß der Verstand erst den sinnlichen Eindrücken folgt, und das Gedächtniß diese aufbehalten muß. So z. E. verhält es sich bey den Sprachen. Man kann sie entweder durch förmliches Memoriren, oder durch den Umgang lernen, und diese letztere ist bey lebenden Sprachen die beste Methode. Das Vocabelnlernen ist würklich nöthig, aber am besten thut man wohl, wenn man diejenigen Wörter lernen läßt, die bey dem Autor, den man mit der Jugend gerade liest, vorkommen. Die Jugend muß ihr gewisses und bestimmtes Pensum haben. So lernt man auch die Geographie durch einen gewissen Mechanism am besten. Das Gedächtniß vorzüglich liebt diesen Mechanism und in einer Menge von Fällen ist er auch sehr nützlich. Für die Geschichte ist bis jetzt noch kein recht geschickter Mechanism erfunden worden; man hat es zwar mit Tabellen versucht, doch scheint es auch mit denen nicht recht gehen zu wollen *). Geschichte aber ist ein treffliches Mittel, den Verstand in der Beurtheilung zu üben. Das Memoriren ist sehr nöthig, aber das zur bloßen Uebung taugt gar nichts, z. E. daß man Reden auswendig lernen läßt. Allenfalls
hilft es blos zur Beförderung der Dreistigkeit, und das Deklamiren ist überdem nur eine Sache für Männer *). Hieher gehören auch alle Dinge, die man blos zu einem künftigen Examen oder in Rücksicht auf die futuram oblivionem lernt. Man muß das Gedächtniß nur mit solchen Dingen beschäftigen, an denen uns gelegen ist, daß wir sie behalten, und die auf das würkliche Leben Beziehung haben. Am schädlichsten ist das Romanlesen der Kinder, da sie nämlich weiter keinen Gebrauch davon machen, als daß sie ihnen in dem Augenblicke, indem sie sie lesen, zur Unterhaltung dienen. Das Romanenlesen schwächt das Gedächtniß. Denn es wäre lächerlich, Romane behalten und sie Andern wieder erzählen zu wollen. Man muß daher Kindern alle Romane aus den Händen nehmen. Indem sie sie lesen, bilden sie sich in dem Romane wieder einen neuen Roman, da sie die Umstände sich selbst anders ausbilden, herumschwärmen, und gedankenlos da sitzen.
Zerstreuungen müssen nie, am wenigsten in der Schule gelitten werden, denn sie bringen endlich einen gewissen Hang dazu, eine gewisse Gewohnheit hervor.
Auch die schönsten Talente gehen bey Einem, der der Zerstreuung ergeben ist, zu Grunde. Wenn Kinder sich gleich bey Vergnügungen zerstreuen: so sammeln sie sich doch bald wieder; man sieht sie aber am meisten zerstreut, wenn sie schlimme Streiche im Kopfe haben, denn da sinnen sie, wie sie sie verbergen, oder wieder gut machen können. Sie hören dann Alles nur halb, antworten verkehrt, wissen nicht, was sie lesen, u. s. w.
Das Gedächtniß muß man frühe, aber auch nebenher sogleich den Verstand kultiviren.
Das Gedächtniß wird kultivirt 1) durch das Behalten der Namen in Erzählungen; 2) durch das Lesen und Schreiben; jenes aber muß aus dem Kopfe geübt werden und nicht durch das Buchstabieren; 3) durch Sprachen, die den Kindern zuerst durchs Hören, bevor sie noch etwas lesen müssen, beygebracht werden. Dann thut ein zwäckmäßig eingerichteter, sogenannter Orbis pictus seine guten Dienste, und man kann mit dem Botanisiren, mit der Mineralogie, und der Naturbeschreibung überhaupt den Anfang machen. Von diesen Gegenständen einen Abriß zu machen, das giebt dann Veranlassung zum Zeichnen und Modelliren, wozu es der Mathematik bedarf. Der erste wissenschaftliche Unterricht bezieht sich am vortheilhaftesten auf die Geographie, die mathematische sowohl, als die physicalische. Reiseerzählungen, durch Kupfer und Karten erläutert, führen dann zu der politischen Geographie. Von dem gegenwärtigen Zustande der Erdoberfläche geht man dann auf den ehemaligen zurück, gelangt zur alten Erdbeschreibung, alten Geschichte, u. s. w.
Bey dem Kinde aber muß man im Unterrichte allmählig das Wissen und Können zu verbinden suchen. Unter allen Wissenschaften scheint die Mathematik die einzige der Art zu seyn, die diesen Endzweck am besten befriedigt. Ferner muß das Wissen und Sprechen verbunden werden (Beredtheit, Wohlredenheit und Beredsamkeit). Aber es muß auch das Kind das Wissen sehr wohl vom bloßen Meynen und Glauben unterscheiden lernen. In der Art bereitet man einen richtigen Verstand vor, und einen richtigen, nicht feinen oder zarten Geschmack. Dieser muß zuerst Geschmack der Sinne, namentlich der Augen, zuletzt aber Geschmack der Ideen seyn. –
Regeln müssen in alle dem vorkommen, was den Verstand kultiviren soll. Es ist sehr nützlich, die Regeln auch zu abstrahiren, damit der Verstand nicht blos mechanisch, sondern mit dem Bewußtseyn einer Regel verfahre.
Es ist auch sehr gut, die Regeln in eine gewisse Formel zu bringen, und so dem Gedächtnisse anzuvertrauen. Haben wir die Regel im Gedächtnisse, und vergessen auch den Gebrauch: so finden wir uns doch bald wieder zurecht. Es ist hier die Frage: sollen die Regeln erst in abstracto vorangehen, und sollen Regeln erst nachher gelernt werden, wenn man den Gebrauch vollendet hat? oder soll Regel und Gebrauch gleichen Schrittes gehen? Dies letzte ist allein rathsam. In dem andern Falle ist der Gebrauch so lange, bis man zu den Regeln gelangt, sehr unsicher. Die Regeln müssen gelegentlich, aber auch in Klassen gebracht werden, denn man behält sie nicht, wenn sie nicht in Verbindung mit sich selbst stehen. Die
Grammatik muß also bey Sprachen immer in etwas vorausgehen.
Wir müssen nun aber auch einen systematischen Begriff von dem ganzen Zwecke der Erziehung, und der Art, wie er zu erreichen ist, geben.
1) Die allgemeine Kultur der Gemüthskräfte, unterschieden von der besondern. Sie geht auf Geschicklichkeit und Vervollkommnung, nicht daß man den Zögling besonders worin informire, sondern seine Gemüthskräfte stärke. Sie ist
a) entweder phisisch. Hier beruht alles auf Uebung und Disciplin, ohne daß die Kinder Maximen kennen dürfen. Sie ist passiv für den Lehrling, er muß der Leitung eines Andern folgsam seyn. Andere denken für ihn.
b) oder moralisch. Sie beruht dann nicht auf Disciplin, sondern auf Maximen. Alles wird verdorben, wenn man sie auf Exempel, Drohungen, Strafen u. s. w. gründen will. Sie wäre dann blos Disciplin. Man muß dahin sehen, daß der Zögling aus eignen Maximen, nicht aus Gewohnheit, gut handle, daß er nicht blos das Gute thue, sondern es darum thue, weil es gut ist. Denn der ganze moralische Werth der Handlungen besteht in den Maximen des Guten. Die physische Erziehung unterscheidet sich darin von der moralischen, daß jene passiv für den Zögling,
diese aber thätig ist. Er muß jederzeit den Grund und die Ableitung der Handlung von den Begriffen der Pflicht einsehen.
2) Die besondere Kultur der Gemüthskräfte. Hier kommt vor, die Kultur des Erkenntnißvermögens, der Sinne, der Einbildungskraft, des Gedächtnisses, der Stärke der Aufmerksamkeit, und des Witzes, was also die untern Kräfte des Verstandes betrifft. Von der Kultur der Sinne, z. E. des Augenmaßes, ist schon oben geredet worden. Was die Kultur der Einbildungskraft anlangt: so ist folgendes zu merken. Kinder haben eine ungemein starke Einbildungskraft, und sie braucht gar nicht erst durch Mährchen mehr gespannt, und extendirt zu werden. Sie muß vielmehr gezügelt, und unter Regeln gebracht werden, aber doch muß man sie auch nicht ganz unbeschäftigt lassen.
Landkarten haben etwas an sich, das alle, auch die kleinsten Kinder reizet. Wenn sie alles andere überdrüssig sind, so lernen sie doch noch etwas, wobey man Landkarten braucht. Und dieses ist eine gute Unterhaltung für Kinder, wobey ihre Einbildungskraft nicht schwärmen kann, sondern sich gleichsam an eine gewisse Figur halten muß. Man könnte bey den Kindern würklich mit der Geographie den Anfang machen. Figuren von Thieren, Gewächsen u. s. w. können damit zu gleicher Zeit verbunden werden; diese müssen die Geographie beleben. Die Geschichte aber müßte wohl erst später eintreten.
Was die Stärkung der Aufmerksamkeit anbetrifft: so ist zu bemerken, daß diese allgemein gestärkt werden
muß. Eine starre Anheftung unserer Gedanken an ein Objekt ist nicht sowohl ein Talent, als vielmehr eine Schwäche unsers innern Sinnes, da er in diesem Falle unbiegsam ist, und sich nicht nach Gefallen anwenden läßt. Zerstreuung ist der Feind aller Erziehung. Das Gedächtniß aber beruht auf der Aufmerksamkeit.
Was aber die obern Verstandeskräfte betrifft, so kommt hier vor, die Kultur des Verstandes, der Urtheilskraft und der Vernunft. Den Verstand kann man im Anfange gewissermaßen auch passiv bilden, durch Anführung von Beyspielen für die Regel, oder umgekehrt, durch Auffindung der Regel für die einzelnen Fälle. Die Urtheilskraft zeigt, welcher Gebrauch von dem Verstande zu machen ist. Er ist erforderlich, um, was man lernt, oder spricht, zu verstehen, und um nichts, ohne es zu verstehen, nachzusagen. Wie mancher liest und hört etwas, ohne es, wenn er es auch glaubt, zu verstehen. Dazu gehören Bilder und Sachen.
Durch die Vernunft sieht man die Gründe ein. Aber man muß bedenken, daß hier von einer Vernunft die Rede ist, die noch geleitet wird. Sie muß also nicht immer raisonniren wollen, aber es muß auch ihr, überdas, was die Begriffe übersteigt, nicht viel vorraisonnirt werden. Noch gilt es hier nicht die speculative Vernunft, sondern die Reflexion über das, was vorgeht, nach seinen Ursachen und Würkungen. Es ist eine in ihrer Wirthschaft und Einrichtung practische Vernunft.
Die Gemüthskräfte werden am besten dadurch kultivirt, wenn man das Alles selbst thut, was man
leisten will, z. E. wenn man die grammatische Regel, die man gelernt hat, gleich in Ausübung bringt. Man versteht eine Landkarte am besten, wenn man sie selbst verfertigen kann. Das Verstehen hat zum größsten Hülfsmittel das Hervorbringen. Man lernet das am gründlichsten, und behält das am besten, was man gleichsam aus sich selbst lernet. Nur wenige Menschen indessen sind das im Stande. Man nennt sie (αυτοδιδακτοι) Avtodidakten.
Bey der Ausbildung der Vernunft muß man sokratisch verfahren. Sokrates nämlich, der sich die Hebamme der Kenntnisse seiner Zuhörer nannte, giebt in seinen Dialogen, die uns Plato gewissermaßen aufbehalten hat, Beyspiele, wie man selbst bey alten Leuten, manches aus ihrer eigenen Vernunft hervorziehen kann. Vernunft braucht in vielen Stücken nicht von Kindern ausgeübt zu werden. Sie müssen nicht über Alles vernünfteln. Von dem, was sie wohlgezogen machen soll, brauchen sie nicht die Gründe zu wissen, sobald es aber die Pflicht betrifft, so müssen ihnen dieselben bekannt gemacht werden. Doch muß man überhaupt dahin sehen, daß man nicht Vernunftkenntnisse in sie hineintrage, sondern dieselben aus ihnen heraushole. Die sokratische Methode sollte bey der katechetischen die Regel ausmachen. Sie ist freylich etwas langsam, und es ist schwer, es so einzurichten, daß, indem man aus dem Einen die Erkenntnisse herausholt, die Andern auch etwas dabey lernen. Die mechanisch-katechetische Methode ist bey manchen Wissenschaften auch gut; z. E. bey dem Vortrage der geoffenbarten Religion. Bey der allgemeinen Religion hingegen muß man die sokratische Methode benutzen. In Ansehung dessen nämlich, was historisch gelernt werden muß,
empfiehlt sich die mechanisch-katechetische Methode vorzüglich.
Es gehört hieher auch die Bildung des Gefühls der Lust oder Unlust. Sie muß negativ seyn, das Gefühl selbst aber nicht verzärtelt werden. Hang zur Gemächlichkeit ist für den Menschen schlimmer, als alle Uebel des Lebens. Es ist daher äußerst wichtig, daß Kinder von Jugend auf arbeiten lernen. Kinder, wenn sie nur nicht schon verzärtelt sind, lieben würklich Vergnügungen, die mit Strapazen verknüpft, Beschäftigungen, die den Kräfte erforderlich sind. In Ansehung dessen, was sie genießen, muß man sie nicht leckerhaft machen, und sie nicht wählen lassen. Gemeinhin verziehen die Mütter ihre Kinder hierin, und verzärteln sie überhaupt. Und doch bemerkt man, daß die Kinder, vorzüglich die Söhne, die Väter mehr, als die Mütter lieben. Dies kömmt wohl daher, die Mütter lassen sie gar nicht herumspringen, herumlaufen, und dergl. aus Furcht, daß sie Schaden nehmen möchten. Der Vater, der sie schilt, auch wohl schlägt, wenn sie ungezogen gewesen sind, führt sie dagegen auch bisweilen ins Feld, und läßt sie da recht jungenmäßig herumlaufen, spielen und fröhlich seyn *).
Man glaubt, die Geduld der Kinder dadurch zu üben, daß man sie lange auf etwas warten läßt. Dies dürfte indessen eben nicht nöthig seyn. Wohl aber brauchen sie Geduld in Krankheiten u. dergl. Die Geduld ist zweyfach. Sie besteht entweder darin, daß man neuen Muth fasset. Das erstere ist nicht nöthig, wenn man immer nur das Mögliche verlangt, und das letztere darf man immer, wenn man nur, was recht ist, begehrt. In Krankheiten aber verschlimmert die Hoffnungslosigkeit eben so viel, als der gute Muth zu verbessern im Stande ist. Wer diesen aber, in Beziehung auf seinen physischen oder moralischen Zustand noch zu fassen vermag, der giebt auch die Hoffnung nicht auf.
Kinder müssen auch nicht schüchtern gemacht werden. Das geschieht vornämlich dadurch, wenn man gegen sie mit Scheltworten ausfährt, und sie öfter beschämet. Hierher gehört besonders der Zuruf vieler Eltern: Pfuy, schäme dich! Es ist gar nicht abzusehen, worüber die Kinder sich eigentlich sollten zu schämen haben, wenn sie z. E. den Finger in den Mund stecken und dergl. Es ist nicht Gebrauch, nicht Sitte! das kann man ihnen sagen, aber nie muß man ihnen ein „Pfuy, schäme dich!“ zurufen, als nur in dem Falle, daß sie lügen. Die Natur hat dem Menschen die Schamhaftigkeit gegeben, damit er sich, sobald er lügt, verrathe. Reden daher Eltern nie den
Kindern von Scham vor, als wenn sie lügen, so behalten sie diese Schamröthe in Betreff des Lügens für ihre Lebenszeit. Wenn sie aber ohne Aufhören beschämt werden: so gründet das eine Schüchternheit, die ihnen weiterhin unabänderlich anklebt.
Der Wille der Kinder muß, wie schon oben gesagt, nicht gebrochen, sondern nur in der Art gelenkt werden, daß er den natürlichen Hindernissen nachgebe. Im Anfange muß das Kind freylich blindlings gehorchen. Es ist unnatürlich, daß das Kind durch sein Geschrey kommandire, und der Starke einem Schwachen gehorche. Man muß daher nie den Kindern, auch in der ersten Jugend, auf ihr Geschrey willfahren, und sie dadurch etwas erzwingen lassen. Gemeinhin versehen es die Eltern hierin, und wollen es dadurch nachher wieder gut machen, daß sie den Kindern in späterer Zeit wieder alles, um das sie bitten, abschlagen. Dies ist aber sehr verkehrt, ihnen ohne Ursache abzuschlagen, was sie von der Güte der Eltern erwarten, blos um ihnen Widerstand zu thun, und sie, die Schwächern, die Uebermacht der Eltern fühlen zu lassen.
Kinder werden verzogen, wenn man ihren Willen erfüllt, und ganz falsch erzogen, wenn man ihrem Willen und ihren Wünschen gerade entgegen handelt. Jenes geschieht gemeinhin so lange, als sie ein Spielwerk der Eltern sind, vornämlich in der Zeit, wenn sie zu sprechen beginnen. Aus dem Verziehen aber entspringt ein gar großer Schade für das ganze Leben. Bey dem Entgegenhandeln gegen den Willen der Kinder, verhindert man sie zugleich zwar daran, ihren Unwillen zu zeigen, was freylich geschehen muß, desto mehr aber toben sie innerlich. Die Art, nach der sie
sich jetzt verhalten sollen, haben sie noch nicht kennen gelernt. – Die Regel, die man also bey Kindern von Jugend auf beobachten muß, ist diese, daß man, wenn sie schreyen, und man glaubt, daß ihnen etwas schade, ihnen zu Hülfe komme, daß man aber, wenn sie es aus bloßem Unwillen thun, sie liegen lasse. Und ein gleiches Verfahren muß auch nachher unabläßig eintreten. Der Widerstand, den das Kind in diesem Falle findet, ist ganz natürlich, und ist eigentlich negativ, indem man ihm nur nicht willfahrt. Manche Kinder erhalten dagegen wieder Alles von den Eltern, was sie nur verlangen, wenn sie sich aufs Bitten legen. Wenn man die Kinder Alles durch Schreyen erhalten läßt, so werden sie boshaft, erhalten sie aber Alles durch Bitten, so werden sie weichlich. Findet daher keine erhebliche Ursache des Gegentheils Statt: so muß man die Bitte des Kindes erfüllen. Findet man aber Ursache, sie nicht zu erfüllen: so muß man sich auch nicht durch vieles Bitten bewegen lassen. Eine jede abschlägige Antwort muß unwiderruflich seyn. Sie hat dann zunächst den Effekt, daß man nicht öfter abschlagen darf *).
Gesetzt es wäre, was man doch nur äusserst selten annehmen kann, bey dem Kinde natürliche Anlage zum Eigensinne vorhanden: so ist es am besten, in der Art zu verfahren, daß, wenn es uns nichts zu Gefallen thut, wir auch ihm wieder nichts zu Gefallen thun. – Brechung des Willens bringt eine sclavische Denkungsart, natürlicher Widerstand dagegen, Lenksamkeit zuwege.
Die moralische Kultur muß sich gründen auf Maximen, nicht auf Disciplin. Diese verhindert die Unarten, jene bildet die Denkungsart. Man muß dahin sehen, daß das Kind sich gewöhne, nach Maximen, und nicht nach gewissen Triebfedern zu handeln. Durch Disciplin bleibt nur eine Angewohnheit übrig, die doch auch mit den Jahren verlöscht. Nach Maximen soll das Kind handeln lernen, deren Billigkeit es selbst einsieht. Daß dies bey jungen Kindern schwer zu bewirken, und die moralische Bildung daher auch die meisten Einsichten von Seiten der Eltern und Lehrer erfordern, sieht man leicht ein *).
Wenn das Kind z. E. lügt, muß man es nicht bestrafen, sondern ihm mit Verachtung begegnen, ihm sagen, daß man ihm in Zukunft nicht glauben werde, u. dergl. Bestraft man das Kind aber, wenn es Böses thut, und belohnt es, wenn es Gutes thut, so thut es Gutes, um es gut zu haben. Kommt es nachher in die Welt, wo es nicht so zugeht, wo es Gutes thun kann, ohne eine Belohnung, und Böses, ohne Strafe zu empfangen: so wird aus ihm ein Mensch, der nur sieht, wie er gut in der Welt fortkommen kann, und gut oder böse ist, je nachdem er es am zuträglichsten findet. –
Die Maximen müssen aus dem Menschen selbst entstehen. Bey der moralischen Kultur soll man frühe den Kindern Begriffe beyzubringen suchen, von dem, was gut oder böse ist. Wenn man Moralität gründen will: so muß man nicht strafen. Moralität ist etwas so Heiliges und Erhabenes, daß man sie nicht so wegwerfen und mit Disciplin in einen Rang setzen darf. Die erste Bemühung bey der moralischen Erziehung ist,
einen Charakter zu gründen. Der Charakter besteht in der Fertigkeit, nach Maximen zu handeln. Im Anfange sind es Schulmaximen, und nachher Maximen der Menschheit. Im Anfange gehorcht das Kind Gesetzen. Maximen sind auch Gesetze, aber subjektive; sie entspringen aus dem eignen Verstande des Menschen. Keine Uebertretung des Schulgesetzes aber muß ungestraft hingehen, obwohl die Strafe immer der Uebertretung angemessen seyn muß.
Wenn man bey Kindern einen Charakter bilden will, so kömmt es viel darauf an, daß man ihnen in allen Dingen einen gewissen Plan, gewisse Gesetze bemerkbar mache, die auf das genaueste befolgt werden müssen. So setzt man ihnen z. E. eine Zeit zum Schlafe, zur Arbeit, zur Ergötzung fest, und diese muß man dann auch nicht verlängern oder verkürzen. Bey gleichgültigen Dingen kann man Kindern die Wahl lassen, nur müssen sie das, was sie sich einmal zum Gesetze gemacht haben, nachher immer befolgen. – Man muß bey Kindern aber nicht den Charakter eines Bürgers, sondern den Charakter eines Kindes bilden.
Menschen, die sich nicht gewisse Regeln vorgesetzt haben, sind unzuverläßig, man weiß sich oft nicht in sie zu finden, und man kann nie recht wissen, wie man mit ihnen dran ist. Zwar tadelt man Leute häufig, die immer nach Regeln handeln, z. E. den Mann, der, nach der Uhr, jeder Handlung eine gewisse Zeit festgesetzt hat, aber oft ist dieser Tadel unbillig, und diese Abgemessenheit, ob sie gleich nach Peinlichkeit aussieht, eine Disposition zum Charakter.
Zum Charakter eines Kindes, besonders eines Schülers, gehört vor allen Dingen Gehorsam. Dieser ist zweyfach, erstens: ein Gehorsam gegen den absoluten, dann zweytens aber auch gegen den für vernünftig und gut erkannten Willen eines Führers. Der Gehorsam kann abgeleitet werden, aus dem Zwange, und dann ist er absolut, oder aus dem Zutrauen, und dann ist er von der andern Art. Dieser freywillige Gehorsam ist sehr wichtig; jener aber auch äußerst nothwendig, indem er das Kind zur Erfüllung solcher Gesetze vorbereitet, die es künftighin, als Bürger erfüllen muß, wenn sie ihm auch gleich nicht gefallen.
Kinder müssen daher unter einem gewissen Gesetze der Nothwendigkeit stehen. Dieses Gesetz aber muß ein allgemeines seyn, worauf man besonders in Schulen zu sehen hat. Der Lehrer muß unter mehrern Kindern keine Prädilection, keine Liebe des Vorzuges gegen ein Kind besonders zeigen. Denn das Gesetz hört sonst auf, allgemein zu seyn. Sobald das Kind sieht, daß sich nicht alle übrigen auch demselben Gesetze unterwerfen müssen, so wird es aufsetzig.
Man redet immer soviel davon, Alles müsse den Kindern in der Art vorgestellt werden, daß sie es aus Neigung thäten. In manchen Fällen ist das freylich gut, aber Vieles muß man ihnen als Pflicht vorschreiben. Dieses hat nachher großen Nutzen für das ganze Leben. Denn bey öffentlichen Abgaben, bey Arbeiten des Amtes, und in vielen andern Fällen, kann uns nur die Pflicht, nicht die Neigung leiten. Gesetzt das Kind sähe die Pflicht auch nicht ein, so ist es doch so besser, und, daß etwas seine Pflicht als Kind sey,
sieht es doch wohl ein, schwerer aber, daß etwas seine Pflicht als Mensch sey. Könnte es dieses auch einsehen, welches aber erst bei zunehmenden Jahren möglich ist: so wäre der Gehorsam noch vollkommner.
Alle Uebertretung eines Gebotes bey einem Kinde ist eine Ermangelung des Gehorsams, und diese zieht Strafe nach sich. Auch bey einer Unachtsamen Uebertretung des Gebotes ist Strafe nicht unnöthig. Diese Strafe ist entweder physisch oder moralisch.
Moralisch straft man, wenn man der Neigung, geehrt und geliebt zu werden, die Hülfsmittel der Moralität sind, Abbruch thut, z. E. wenn man das Kind beschämt, ihm frostig und kalt begegnet. Diese Neigungen müssen so viel als möglich erhalten werden. Daher ist diese Art zu strafen die beste; weil sie der Moralität zu Hülfe kommt, z. E. wenn ein Kind lügt, so ist ein Blick der Verachtung Strafe genug und die zweckmäßigste Strafe.
Physische Strafen bestehen entweder in Verweigerungen des Begehrten, oder in Zufügung der Strafen. Die erstere Art derselben ist mit der moralischen verwandt, und ist negativ. Die andern Strafen müssen mit Behutsamkeit ausgeübt werden, damit nicht eine indoles seruilis entspringe. Daß man Kindern Belohnungen ertheilt, taugt nicht, sie werden dadurch eigennützig, und es entspringt daraus eine indoles mercenaris.
Der Gehorsam ist ferner, entweder Gehorsam des Kindes, oder des angehenden Jünglinges. Bey der Uebertretung desselben erfolgt Strafe. Diese
ist entweder eine würklich natürliche Strafe, die sich der Mensch selbst durch sein Betragen zuzieht, z. E. daß das Kind, wenn es zu viel ißt, krank wird, und diese Strafen sind die besten, denn der Mensch erfährt sie sein ganzes Leben hindurch, und nicht blos als Kind; oder aber die Strafe ist künstlich. Die Neigung, geachtet und geliebt zu werden, ist ein sicheres Mittel, die Züchtigungen in der Art einzurichten, daß sie dauerhaft sind. Physische Strafen müssen blos Ergänzungen der Unzulänglichkeit der moralischen seyn. Wenn moralische Strafen gar nicht mehr helfen, und man schreitet zu physischen fort, so wird durch diese doch kein guter Charakter mehr gebildet werden. Anfänglich aber muß der physische Zwang den Mangel der Ueberlegung der Kinder ersetzen.
Strafen, die mit dem Merkmahle des Zornes verrichtet werden, würken falsch. Kinder sehen sie dann nur als Folgen, sich selbst aber als Gegenstände des Affectes eines Andern an. Ueberhaupt müssen Strafen den Kindern immer mit der Behutsamkeit zugefügt werden, daß sie sehen, daß blos ihre Besserung der Endzweck derselben sey. Die Kinder, wenn sie gestraft sind, sich bedanken, sie die Hände küssen lassen, u. dergl. ist thöricht, und macht die Kinder sclavisch. Wenn physische Strafen oft wiederholt werden, bilden sie einen Starrkopf, und strafen Eltern ihre Kinder des Eigensinnes wegen, so machen sie sie nur noch immer eigensinniger. – Das sind auch nicht immer die schlechtesten Menschen, die störrisch sind, sondern sie geben gütigen Vorstellungen öfters leicht nach.
Der Gehorsam des angehenden Jünglinges ist unterschieden von dem Gehorsam des Kindes. Er besteht
in der Unterwerfung unter die Regeln der Pflicht. Aus Pflicht etwas thun, heißt: der Vernunft gehorchen. Kindern etwas von Pflicht zu sagen, ist vergebliche Arbeit. Zuletzt sehen sie dieselbe als etwas an, auf dessen Uebertretung die Ruthe folgt *). Das Kind könnte durch bloße Instinkte geleitet werden, sobald es aber erwächst, muß der Begriff der Pflicht dazutreten. Auch die Scham muß nicht gebraucht werden bey Kindern, sondern erst in den Jünglingsjahren. Sie kann nämlich nur dann erst Statt finden, wenn der Ehrbegriff bereits Wurzel gefaßt hat.
Ein zweyter Hauptzug in der Gründung des Charakters der Kinder ist Wahrhaftigkeit. Sie ist der
Grundzug und das Wesentliche eines Charakters. Ein Mensch, der lügt, hat gar keinen Charakter, und hat er etwas Gutes an sich, so rührt dies blos von seinem Temperamente her. Manche Kinder haben einen Hang zum Lügen, der gar oft von einer lebhaften Einbildungskraft muß hergeleitet werden. Des Vaters Sache ist es, darauf zu sehen, daß sich die Kinder dessen entwehnen; denn die Mütter achten es gemeiniglich für eine Sache von keiner, oder doch nur geringer Bedeutung; ja sie finden darin oft einen, ihnen selbst schmeichelhaften Beweis der vorzüglichen Anlagen und Fähigkeiten ihrer Kinder. Hier nun ist der Ort, von der Scham Gebrauch zu machen, denn hier begreift es das Kind wohl. Die Schamröthe verräth uns, wenn wir lügen, aber ist nicht immer ein Beweis davon. Oft erröthet man über die Unverschämtheit eines Andern, uns einer Schuld zu zeihen. Unter keiner Bedingung muß man durch Strafen die Wahrheit von Kindern zu erzwingen suchen, ihre Lüge müßte denn gleich Nachtheil nach sich ziehen, und dann werden sie des Nachtheils wegen gestraft. Entziehung der Achtung ist die einzig zweckmäßige Strafe der Lüge.
Auch lassen sich die Strafen, in negative und positive Strafen abtheilen, deren erstere bey Faulheit oder Unsittlichkeit eintreten würden, z. E. bey der Lüge, bei Unwillfährigkeit und Unvertragsamkeit. Die positiven Strafen aber gelten für Unwillen. Vor allen Dingen aber muß man sich hüten, ja den Kindern nichts nachzutragen.
Ein dritter Zug im Charakter eines Kindes muß Geselligkeit seyn. Es muß auch mit Andern Freundschaft halten, und nicht immer für sich alleine
seyn. Manche Lehrer sind zwar in Schulen dawider; das aber ist sehr unrecht. Kinder sollen sich vorbereiten zu dem süßesten Genusse des Lebens. Lehrer müßen aber keines derselben seiner Talente, sondern nur seines Charakters wegen vorziehen, denn sonst entsteht eine Mißgunst, die der Freundschaft zuwider ist.
Kinder müssen auch offenherzig seyn, und so heiter in ihren Blicken wie die Sonne. Das fröhliche Herz allein ist fähig, Wohlgefallen am Guten zu empfinden. Eine Religion, die den Menschen finster macht, ist falsch; denn er muß Gott mit frohem Herzen, und nicht aus Zwang dienen. Das fröhliche Herz muß nicht immer strenge im Schulzwange gehalten werden, denn in diesem Falle wird es bald niedergeschlagen. Wenn es Freyheit hat, so erholt es sich wieder. Dazu dienen gewisse Spiele, bey denen es Freyheit hat, und wo das Kind sich bemüht, immer dem Andern etwas zuvor zu thun. Alsdann wird die Seele wieder heiter.
Viele Leute denken, ihre Jugendjahre seyen die besten, und die angenehmsten ihres Lebens gewesen. Aber dem ist wohl nicht so. Es sind die beschwerlichsten Jahre, weil man da sehr unter der Zucht ist; selten einen eigentlichen Freund, und noch seltener Freyheit haben kann. Schon Horaz sagt: Multa tulit, fecitque puer, sudavit et alsit. –
Kinder müssen nur in solchen Dingen unterrichtet werden, die sich für ihr Alter schicken. Manche Eltern freuen sich, wenn ihre Kinder frühzeitig altklug reden können. Aus solchen Kindern wird aber gemeiniglich nichts. Ein Kind muß nur klug seyn, wie ein Kind. Es muß kein blinder Nachäffer werden. Ein Kind aber, das mit altklugen Sittensprüchen versehen ist, ist ganz außer der Bestimmung seiner Jahren, und es äffet nach. Es soll nur den Verstand eines Kindes haben, und sich nicht zu frühe sehen lassen. Ein solches Kind wird nie ein Mann von Einsichten, und von aufgeheitertem Verstande werden. Eben so unausstehlich ist es, wenn ein Kind schon alle Moden mitmachen will, z. E. wenn es frisiert seyn, Handkrausen, auch wohl eine Tabaksdose bey sich tragen will. Es bekommt dadurch ein affectirtes Wesen, das einem Kinde nicht ansteht. Eine gesittete Gesellschaft ist ihm eine Last, und das Wackere eines Mannes fehlt ihm am Ende gänzlich. Eben daher muß man denn aber auch der Eitelkeit frühzeitig in ihm entgegenarbeiten, oder richtiger gesagt, ihm nicht Veranlassung geben, eitel zu werden. Das geschieht aber, wenn man Kindern schon frühe davon vorschwatzt, wie schön sie sind, wie allerliebst ihnen dieser oder jener Putz stehe, oder wenn man ihnen diesen als Belohnung verspricht und ertheilt. Putz taugt für Kinder nicht. Ihre reinliche und schlechte Bekleidlingen müssen sie nur als Nothdurft erhalten. Aber auch die Eltern müssen für sich keinen Werth darauf setzen, sich nicht spiegeln, denn hier, wie überall ist das Beyspiel allmächtig, und befestigt oder vernichtet die gute Lehre.
Zu der praktischen Erziehung gehört 1) Geschicklichkeit, 2) Weltklugheit, 3) Sittlichkeit. Was die Geschicklichkeit anbetrifft, so muß man darauf sehen, daß sie gründlich, und nicht flüchtig sey. Man muß nicht den Schein annehmen, als hätte man Kenntnisse von Dingen, die man doch nachher nicht zu Stande bringen kann. Die Gründlichkeit muß in der Geschicklichkeit Statt finden, und allmählig zur Gewohnheit in der Denkungsart werden. Sie ist das Wesentliche zu dem Charakter eines Mannes. Geschicklichkeit gehört für das Talent.
Was die Weltklugheit betrifft: so besteht sie in der Kunst, unsere Geschicklichkeit an den Mann zu bringen, d. h. wie man die Menschen zu seiner Absicht gebrauchen kann. Dazu ist mancherley nöthig. Eigentlich ist es das letzte am Menschen; dem Werthe nach aber nimmt es die zweite Stelle ein.
Wenn das Kind der Weltklugheit überlassen werden soll, so muß es sich verhehlen und undurchdringlich machen, den Andern aber durchforschen können. Vorzüglich muß es sich in Ansehung seines Charakters verhehlen. Die Kunst des äußern Scheines ist der Anstand. Und diese Kunst muß man besitzen. Andere zu durchforschen ist schwer, aber man muß diese Kunst nothwendig verstehen, sich selbst dagegen undurchdringlich machen. Dazu gehört das Dissimuliren, d. h. die Zurückhaltung seiner Fehler, und jener äußere
Schein. Das Dissimuliren ist nicht allemal Verstellung, und kann bisweilen erlaubt seyn, aber es gränzt doch nahe an Unlauterkeit. Die Verhehlung ist ein trostloses Mittel. Zur Weltklugheit gehört, daß man nicht gleich auffahre; man muß aber auch nicht gar zu lässig seyn. Man muß also nicht heftig, aber doch wacker seyn. Wacker ist noch unterschieden von heftig. Ein Wackerer (strenuus) ist der, der Lust zum Wollen hat. Dieses gehört zur Mäßigung des Affectes. Die Weltklugheit ist für das Temperament.
Sittlichkeit ist für den Charakter. Sustine et abstine, ist die Vorbereithung zu einer weisen Mäßigkeit, Wenn man einen guten Charakter bilden will: so muß man erst die Leidenschaften wegräumen. Der Mensch muß sich in Betreff seiner Neigungen so gewöhnen, daß sie nicht zu Leidenschaften werden, sondern er muß lernen, etwas zu entbehren, wenn es ihm abgeschlagen wird. Sustine heißt, erdulde, und gewöhne dich zu ertragen!
Es wird Mut und Neigung erfordert, wenn man etwas entbehren lernen will. Man muß abschlägige Antworten, Widerstand, u. s. w. gewohnt werden.
Zum Temperamente gehört Sympathie. Eine sehnsuchtsvolle, schmachtende Theilnehmung muß bey Kindern verhütet werden. Theilnehmung ist würklich Empfindsamkeit; sie stimmt nur mit einem solchen Charakter überein, der empfindsam ist. Sie ist noch vom Mitleiden unterschieden, und ein Uebel, das darin besteht, eine Sache blos zu bejammern. Man sollte den Kindern ein Taschengeld geben, von dem sie Nothleidenden Gutes thun könnten, da würde man sehen, ob
sie mitleidig sind, oder nicht; wenn sie aber immer nur von dem Gelde ihrer Eltern freygebig sind; so fällt dies weg.
Der Ausspruch: festina lente, deutet eine immerwährende Thätigkeit an, bey der man sehr eilen muß, damit man viel lerne, d. h. festina. Man muß aber auch mit Grund lernen, und also Zeit bey jedem gebrauchen, d. h. lente. Es ist nun die Frage, welches vorzuziehen sey, ob man einen großen Umfang von Kenntnissen haben soll oder nur einen kleineren, der aber gründlich ist? Es ist besser wenig, aber dieses Wenige gründlich zu wissen, als viel und obenhin, denn endlich wird man doch das Seichte in diesem letztern Falle gewahr. Aber das Kind weiß ja nicht, in welche Umstände es kommen kann, um diese oder jene Kenntnisse zu brauchen; und daher ist es wohl am besten, daß es von Allem etwas Gründliches wisse, denn sonst betrügt und verblendet es Andere mit seinen obenhin gelernten Kenntnissen.
Das letzte ist die Gründung des Charakters. Dieser besteht in dem festen Vorsatze, etwas thun zu wollen, und dann auch in den würklichen Ausübung desselben. Vir propositi tenax, sagt Horaz, und das ist ein guter Charakter! z. E. wenn ich Jemanden etwas versprochen habe, so muß ich es auch halten; gesetzt gleich, daß es mir Schaden brächte. Denn ein Mann, der sich etwas vorsetzt, es aber nicht thut, kann sich selbst nicht mehr trauen, z. E. wenn Jemand es sich vornimmt, immer frühe aufzustehen, um zu studieren, oder dies oder jenes zu thun, oder um einen Spatziergang zu machen, und sich im Frühlinge nun damit entschuldiget, daß es noch des Morgens zu kalt
sey, und es ihm schaden könne; im Sommer aber, daß es sich so gut schlafen lasse, und der Schlaf ihm angenehm sey, und so seinen Vorsatz immer von einem Tage zum andern verschiebt: so traut er sich am Ende selbst nicht mehr.
Das, was wider die Moral ist, wird von solchen Vorsätzen ausgenommen. Bey einem bösen Menschen ist der Charakter sehr schlimm, aber hier heißt er auch schon Hartnäckigkeit, obgleich es doch gefällt, wenn er seine Vorsätze ausführt, und standhaft ist, wenn es gleich besser wäre, daß er sich so im Guten zeigte.
Vor Jemand, der die Ausübung seiner Vorsätze immer verschiebt, ist nicht viel zu halten. Die sogenannte künftige Bekehrung ist von der Art. Denn der Mensch, der immer lasterhaft gelebt hat, und in einem Augenblicke bekehrt werden will, kann unmöglich dahin gelangen, indem doch nicht sogleich ein Wunder geschehen kann, daß er auf einmal das werde, was jener ist, der sein ganzes Leben gut angewandt, und immer rechtschaffen gedacht hat. Eben daher ist denn auch nichts von Wallfahrten, Kasteiungen und Fasten zu erwarten; denn es läßt sich nicht absehen, was Wallfahrten und andere Gebräuche dazu beytragen können, um aus einem lasterhaften, auf der Stelle einen edeln Menschen zu machen.
Was soll es zur Rechtschaffenheit und Besserung, wenn man am Tage fastet, und in der Nacht noch einmal soviel dafür genießt, oder, seinem Körper eine Büßung auflegt, die zur Veränderung der Seele nichts beitragen kann.
Um in den Kindern einen moralischen Charakter zu begründen, müssen wir folgendes merken:
Man muß ihnen die Pflichten, die sie zu erfüllen haben, so viel als möglich, durch Beyspiele und Anordnungen beybringen. Die Pflichten, die das Kind zu thun hat, sind doch nur gewöhnliche Pflichten gegen sich selbst, und gegen Andere. Diese Pflichten müssen also aus der Natur der Seele gezogen werden. Wir haben hier daher näher zu betrachten:
a) Die Pflichten gegen sich selbst. Diese bestehen nicht darin, daß man sich eine herrliche Kleidung anschaffe, prächtige Mahlzeiten halte, u. s. w. obgleich Alles reinlich seyn muß. Nicht darin, daß man seine Begierden und Neigungen zu befriedigen suche, denn man muß im Gegentheile sehr mäßig und enthaltsam seyn, sondern, daß der Mensch in seinem Innern eine gewisse Würde habe, die ihn vor allen Geschöpfen adelt, und seine Pflicht ist es, diese Würde der Menschheit in seiner eigenen Person nicht zu verleugnen.
Die Würde der Menschheit aber verleugnen wir, wenn wir z. E. uns dem Trunke ergeben, unnatürliche Sünden begehen, alle Arten von Unmäßigkeit ausüben, u. s. w. welches Alles den Menschen weit unter die Thiere erniedriget. Ferner, wenn ein Mensch sich kriechend gegen Andere beträgt, immer Complimente macht, um sich durch ein so unwürdiges Benehmen, wie er wähnt, einzuschmeicheln, so ist auch dieses wider die Würde der Menschheit.
Die Würde des Menschen würde sich auch dem Kinde schon an ihm selbst bemerkbar machen lassen,
z. E. im Falle der Unreinlichkeit, die wenigstens doch der Menschheit unanständig ist. Das Kind kann sich aber würklich auch unter die Würde der Menschheit durch die Lüge erniedrigen, indem es doch schon zu denken, und seine Gedanken Andern mitzutheilen vermag. Das Lügen macht den Menschen zum Gegenstande der allgemeinen Verachtung, und ist ein Mittel, ihm bey sich selbst die Achtung und Glaubwürdigkeit zu rauben, die jeder für sich haben sollte.
b) die Pflichten gegen Andere. Die Ehrfurcht und Achtung für das Recht der Menscheit muß dem Kinde schon sehr frühe beygebracht werden, und man muß sehr darauf sehen, daß es dieselben in Ausübung bringe; z. E. wenn ein Kind einem ärmern Kinde begegnet, und es dieses stolz aus dem Wege, oder von sich stösset, ihm einen Schlag giebt, u. s. w. so muß man nicht sagen: Thue das nicht, es thut dem Andern wehe; sey doch mitleidig! es ist ja ein armes Kind u. s. w. sondern man muß ihm selbst wieder eben so stolz und fühlbar begegnen, weil sein Benehmen dem Rechte der Menschheit zuwider war. Großmuth aber haben die Kinder eigentlich noch gar nicht. Das kann man z. E. daraus ersehen, daß, wenn Eltern ihrem Kinde befehlen, es solle von seinem Butterbrode einem andern die Hälfte abgeben, ohne daß es aber deshalb nachher um so mehr wieder von ihnen erhält: so thut es dieses entweder gar nicht, oder doch sehr selten und ungerne. Auch kann man ja dem Kinde ohnedem nicht viel von Großmuth vorsagen, weil es noch Nichts in seiner Gewalt hat.
Viele haben den Abschnitt der Moral, der die Lehre von den Pflichten gegen sich selbst enthält, ganz
übersehen, oder falsch erklärt, wie Crugott. Die Pflicht gegen sich selbst aber besteht, wie gesagt, darin, daß der Mensch die Würde der Menschheit in seiner eignen Person bewahre. Er tadelt sich, wenn er die Idee der Menschheit vor Augen hat. Er hat ein Original in seiner Idee, mit dem er sich vergleicht. Wenn die Zahl der Jahre anwächst, wenn die Neigung zum Geschlechte sich zu regen beginnt, dann ist der kritische Zeitpunkt, in dem die Würde des Menschen allein im Stande ist, den Jüngling in Schranken zu halten. Frühe muß man aber dem Jünglinge Winke geben, wie er sich, vor diesem oder jenem zu bewahren habe *).
Unsern Schulen fehlt fast durchgängig etwas, was doch sehr die Bildung der Kinder zur Rechtschaffenheit befördern würde, nämlich ein Catechismus des Rechts. Er müßte Fälle enthalten, die populär wären, sich im gemeinen Leben zutragen, und bey denen immer die Frage ungesucht einträte: ob etwas recht sey oder nicht? z. E. wenn Jemand, der heute seinem Creditor bezahlen soll, durch den Anblick eines Nothleidenden gerührt wird, und ihm die Summe, die er schuldig ist, und nun bezahlen sollte hingiebt: ist das recht oder nicht? Nein! es ist unrecht, denn ich muß frey seyn, wenn ich Wohlthaten thun will. Und, wenn ich das Geld dem Armen gebe, so thue ich ein verdienstliches Werk; bezahle ich aber meine Schuld, so thue ich ein schuldiges Werk. Ferner, ob wohl eine Nothlüge
erlaubt sey? Nein! es ist kein einziger Fall gedenkbar, in dem sie Entschuldigung verdiente, am wenigsten vor Kindern, die sonst jede Kleinigkeit für eine Noth ansehen, und sich öfters Lügen erlauben würden. Gäbe es nun ein solches Buch schon, so könnte man mit vielem Nutzen, täglich eine Stunde dazu aussen, die Kinder das Recht der Menschen, diesen Augapfel Gottes auf Erden, kennen, und zu Herzen nehmen zu lehren. – *)
Was die Verbindlichkeit zum Wohlthun betrifft: so ist sie nur eine unvollkommene Verbindlichkeit. Man muß nicht sowohl das Herz der Kinder weich machen, daß es von dem Schicksale der Andern afficirt werde, als vielmehr, wacker. Es sey nicht voll Gefühl, sondern voll von der Idee der Pflicht. Viele Personen wurden in der That hartherzig, weil sie, da sie vorher mitleidig gewesen waren, sich oft betrogen sahen. Einem Kinde das Verdienstliche der Handlungen begreiflich machen zu wollen, ist umsonst. Geistliche fehlen sehr oft darin, daß sie die Werke des Wohlthuns als etwas Verdienstliches vorstellen **). Ohne daran zu denken, daß wir in Rücksicht auf Gott nie mehr, als
unsere Schuldigkeit thun können, so ist es auch nur unsere Pflicht, dem Armen Gutes zu thun. Denn die Ungleichheit des Wohlstandes der Menschen kommt doch nur von gelegentlichen Umständen her. Besitze ich also ein Vermögen, so habe ich es auch nur dem Eingreifen dieser Umstände, das entweder mir selbst oder meinem Vorgänger geglückt ist, zu danken, und die Rücksicht auf das Ganze bleibt doch immer dieselbe.
Der Neid wird erregt, wenn man ein Kind aufmerksam darauf macht, sich nach dem Werthe Anderer zu schätzen. Es soll sich vielmehr nach den Begriffen seiner Vernunft schätzen. Daher ist die Demut eigentlich nichts anders, als eine Vergleichung seines Werthes mit der moralischen Vollkommenheit. So lehrt z. E. die christliche Religion, nicht sowohl die Demuth, als sie vielmehr den Menschen demüthig macht, weil er sich ihr zufolge, mit dem höchsten Muster der Vollkommenheit vergleichen muß. Sehr verkehrt ist es, die Demuth darein zu setzen, daß man sich geringer schätze, als Andere. – Sieh, wie das und das Kind sich aufführt! u. dergl. Ein Zuruf der Art bringt eine nur sehr unedle Denkungsart hervor. Wenn der Mensch seinen Werth nach Andern schätzt, so sucht er entweder sich über den Andern zu erheben, oder den Werth des Andern zu verringern. Dieses letztere aber ist Neid. Man sucht dann immer nur dem Andern eine Vergehung anzudichten; denn wäre der nicht da, so könnte man auch nicht mit ihm verglichen werden, so wäre man der beste. Durch den übel angebrachten Geist der Aemulation, wird nur Neid erregt. Der Fall, in dem die Aemulation noch zu etwas dienen könnte, wäre der, jemand von der Thunlichkeit einer Sache zu überzeugen, z. E. wenn ich von dem Kinde
ein gewisses Pensum gelernt fordre, und ihm zeige, daß Andere es leisten können.
Man muß auf keine Weise ein Kind das andere beschämen lassen. Allen Stolz, der sich auf Vorzüge des Glückes gründet, muß man zu vermeiden suchen. Zu gleicher Zeit muß man aber suchen, Freymüthigkeit bey den Kindern zu begründen. Sie ist ein bescheidenes Zutrauen zu sich selbst. Durch sie wird der Mensch in den Stand gesetzt, alle seine Talente geziemend zu zeigen. Sie ist wohl zu unterscheiden von der Dummdreistigkeit, die in der Gleichgültigkeit gegen das Urtheil Anderer besteht.
Alle Begierden des Menschen sind entweder formal, (Freyheit und Vermögen) oder material (auf ein Object bezogen), Begierden des Wahnes oder des Genusses, oder endlich sie beziehen sich auf die bloße Fortdauer von beyden, als Elemente der Glückseligkeit.
Begierden der ersten Art, sind Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht. Die der zweyten, Genuß des Geschlechtes (Wollust), der Sache (Wohlleben), oder der Gesellschaft (Geschmack an Unterhaltung). Begierden der dritten Art endlich sind, Liebe zum Leben, zur Gesundheit, zur Gemächlichkeit (in der Zukunft, Sorgenfreyheit).
Laster aber sind entweder, die der Bosheit oder der Niederträchtigkeit, oder der Eingeschränktheit. Zu den erstern gehören, Neid, Undankbarkeit und Schadenfreude; zu denen der zweyten Art, Ungerechtigkeit, Untreue (Falschheit), Lüderlichkeit, sowohl im Verschwenden der Güter, als der Gesundheit (Unmäßigkeit), und der Ehre. Laster der dritten
Art sind, Lieblosigkeit, Kargheit, Trägheit (Weichlichkeit).
Die Tugenden sind entweder Tugenden des Verdienstes, oder blos der Schuldigkeit, oder der Unschuld. Zu den erstern gehört, Großmuth (in Selbstüberwindung, sowohl der Rache, als der Gemächlichkeit und der Habsucht), Wohlthätigkeit, Selbstbeherrschung; zu den zweyten, Redlichkeit, Anständigkeit und Friedfertigkeit; zu den dritten endlich; Ehrlichkeit, Sittsamkeit und Genügsamkeit.
Ob aber der Mensch nun von Natur moralisch gut oder böse ist? Keines von beyden, denn er ist von Natur gar kein moralisches Wesen; er wird dieses nur, wenn seine Vernunft sich bis zu den Begriffen der Pflicht und des Gesetzes erhebt. Man kann indessen sagen, daß er ursprünglich Anreize zu allen Lastern in sich habe, denn er hat Neigungen und Instinkte, die ihn anregen, ob ihn gleich die Vernunft zum Gegentheile treibt. Er kann daher nur moralisch gut werden durch Tugend, also aus Selbstzwang, ob er gleich ohne Anreize unschuldig seyn kann.
Laster entspringen meistens daraus, daß der gesittete Zustand der Natur Gewalt thut, und unsere Bestimmung als Menschen ist doch, aus dem rohen Naturstande als Thier, herauszutreten. Vollkommne Kunst wird wieder zur Natur.
Es beruht alles bey der Erziehung darauf, daß man überall die richtigen Gründe aufstelle, und den Kindern begreiflich und annehmlich mache. Sie müssen lernen, die Verabscheuung des Eckels und der Ungereimtheit,
an die Stelle der des Hasses zu setzen; innern Abscheu, statt des äußern vor Menschen und der göttlichen Strafen, Selbstschätzung und innere Würde, statt der Meynung der Menschen, – innern Werth der Handlung und des Thuns, statt der Worte, und Gemüthsbewegung, – Verstand, statt des Gefühles, – und Fröhlichkeit und Frömmigkeit bey guter Laune, statt der grämischen, schüchternen und finstern Andacht eintreten zu lassen.
Vor allen Dingen aber muß man sie auch dafür bewahren, daß sie die merita fortunae nie zu hoch anschlagen.
Was die Erziehung der Kinder in Absicht der Religion anbetrifft, so ist zuerst die Frage: ob es thunlich sey, frühe den Kindern Religionsbegriffe beyzubringen? Hierüber ist sehr viel in der Pädagogik gestritten worden. Religionsbegriffe setzen allemal einige Theologie voraus. Sollte nun der Jugend, die die Welt, die sich selbst noch nicht kennt, wohl eine Theologie können beygebracht werden? Sollte die Jugend, die Pflicht noch nicht kennt, eine unmittelbare Pflicht gegen Gott zu begreifen im Stande seyn? So viel ist gewiß, daß, wenn es thunlich wäre, daß Kinder keine Handlungen der Verehrung des höchsten Wesens mit ansehen, selbst nicht einmal den Namen Gottes hörten, es der Ordnung der Dinge angemessen wäre, sie erst auf die Zwecke, und auf das, was dem Menschen
ziemt, zu führen, ihre Beurtheilungskraft zu schärfen, sie von der Ordnung und Schönheit der Naturwerke zu unterrichten, dann noch eine erweiterte Kenntniß des Weltgebäudes hinzuzufügen, und hierauf erst den Begriff eines höchsten Wesens, eines Gesetzgebers, ihnen zu eröffnen. Weil dies aber nach unserer jetzigen Lage nicht möglich ist, so würde, wenn man ihnen erst spät von Gott etwas beybringen wollte, sie ihn aber doch nennen hörten, und sogenannte Diensterweisungen, gegen ihn mit ansähen, dieses entweder Gleichgültigkeit, oder verkehrte Begriffe bey ihnen hervorbringen, z. E. eine Furcht vor der Macht desselben. Da es nun aber zu besorgen ist, daß sich diese in die Phantasie der Kinder einnisten möchte: so muß man, um sie zu vermeiden, ihnen frühe Religionsbegriffe beyzubringen suchen. Doch muß dies nicht Gedächtnißwerk, bloße Nachahmung und alleiniges Affenwerk seyn, sondern der Weg, den man wählt, muß immer der Natur angemessen seyn. Kinder werden, auch ohne abstrakte Begriffe von Pflicht, von Verbindlichkeiten, von Wohl- oder Uebelverhalten zu haben, einsehen, daß ein Gesetz der Pflicht vorhanden sey, daß nicht die Behaglichkeit, der Nutzen u. dergl. sie bestimmen solle, sondern etwas Allgemeines, das sich nicht nach den Launen der Menschen richtet. Der Lehrer selbst aber muß sich diesen Begriff machen.
Zuvörderst muß man alles der Natur, nachher diese selbst aber, Gott zuschreiben, wie z. E. erstlich Alles auf Erhaltung der Arten und deren Gleichgewicht angelegt worden, aber von weitem zugleich auch auf den Menschen, damit er sich selbst glücklich mache.
Der Begriff von Gott, dürfte am besten zuerst analogisch mit dem des Vaters, unter dessen Pflege wir sind, deutlich gemacht werden, wobey sich dann sehr vortheilhaft auf die Einigkeit der Menschen, als in einer Familie, hinweisen läßt.
Was ist denn aber Religion? Religion ist das Gesetz in uns, in so ferne es durch einen Gesetzgeber und Richter über uns Nachdruck erhält; sie ist eine auf die Erkenntniß Gottes angewandte Moral. Verbindet man Religion nicht mit Moralität, so wird Religion blos zur Gunstbewerbung. Lobpreisungen, Gebethe, Kirchengehen, sollen nur dem Menschen neue Stärke, neuen Muth zur Besserung geben, oder der Ausdruck eines von der Pflichtvorstellung beseelten Herzens seyn. Sie sind nur Vorbereitungen zu guten Werken, nicht aber selbst gute Werke, und man kann dem höchsten Wesen nicht anders gefällig werden, als dadurch, daß man ein besserer Mensch werde.
Zuerst muß man bey dem Kinde von dem Gesetze, das es in sich hat, anfangen. Der Mensch ist sich selbst verachtenswürdig, wenn er lasterhaft ist. Dieses ist in ihm selbst gegründet, und er ist es nicht deswegen erst, weil Gott das Böse verboten hat. Denn es ist nicht nöthig, daß der Gesetzgeber zugleich auch der Urheber des Gesetzes sey. So kann ein Fürst in seinem Lande das Stehlen verbieten, ohne deswegen der Urheber des Verbotes des Diebstahles genannt werden zu können. Hieraus lernt der Mensch einsehen, daß sein Wohlverhalten allein ihn der Glückseligkeit würdig mache. Das göttliche Gesetz muß zugleich als Naturgesetz erscheinen, denn es ist nicht willkührlich. Daher gehört Religion zu aller Moralität.
Man muß aber nicht von der Theologie anfangen. Die Religion, die blos auf Theologie gebaut ist, kann niemals etwas Moralisches enthalten. Man wird bey ihr nur Furcht auf der einen, und lohnsüchtige Absichten und Gesinnungen auf der andern Seite haben, und dies giebt dann blos einen abergläubischen Kultus ab. Moralität muß also vorhergehen, die Theologie ihr dann folgen, und das heißt Religion.
Das Gesetz in uns heißt Gewissen. Das Gewissen ist eigentlich die Application unserer Handlungen auf dieses Gesetz. Die Vorwürfe desselben werden ohne Effekt seyn, wenn man es sich nicht als den Repräsentanten Gottes denkt, der seinen erhabenen Stuhl über uns, aber auch in uns einen Richterstuhl aufgeschlagen hat. Wenn die Religion nicht zur moralischen Gewissenhaftigkeit hinzukommt: so ist sie ohne Wirkung. Religion, ohne moralische Gewissenhaftigkeit, ist ein abergläubischer Dienst. Man will Gott dienen, wenn man z. E. ihn lobt, seine Macht, seine Weisheit preiset, ohne darauf zu denken, wie man die göttlichen Gesetze erfülle, ja, ohne einmal seine Macht, Weisheit u. s. w. zu kennen, und denselben nachzuspühren. Diese Lobpreisungen sind ein Opiat für das Gewissen solcher Leute, und ein Polster, auf dem es ruhig schlafen soll.
Kinder können nicht alle Religionsbegriffe fassen, einige aber muß man ihnen demohngeachtet beybringen; nur müssen diese mehr negativ als positiv seyn. – Formeln von Kindern herbeten zu lassen, das dient zu nichts, und bringt nur einen verkehrten Begriff von Frömmigkeit hervor. Die wahre Gottesverehrung besteht darin, daß man nach Gottes Willen handelt, und
dies muß man den Kindern beybringen. Man muß bey Kindern, wie auch bey sich selbst darauf sehen, daß der Name Gottes nicht so oft gemißbraucht werde. Wenn man ihn bey Glückwünschungen, ja selbst in frommer Absicht braucht: so ist dies eben auch ein Mißbrauch. Der Begriff von Gott sollte den Menschen, bey dem jedesmaligen Aussprechen seines Namens, mit Ehrfurcht durchdringen, und er sollte ihn daher selten, und nie leichtsinnig gebrauchen. Das Kind muß Ehrfurcht vor Gott empfinden lernen, als vor dem Herrn des Lebens und der ganzen Welt; ferner, als vor dem Vorsorger der Menschen, und drittens endlich, als vor dem Richter derselben. Man sagt, daß Newton immer, wenn er den Namen Gottes ausgesprochen, eine Weile inne gehalten, und nachgedacht habe.
Durch eine vereinigte Deutlichmachung des Begriffes von Gott und der Pflicht, lernt das Kind um so besser die göttliche Vorsorge für die Geschöpfe respectiren, und wird dadurch vor dem Hange zur Zerstörung und Grausamkeit bewahrt, der sich so vielfach in der Marter kleiner Thiere äußert. Zugleich sollte man die Jugend auch anweisen, das Gute in dem Bösen zu entdecken, z. E. Raubthiere, Insecten sind Muster der Reinlichkeit und des Fleißes. Böse Menschen ermuntern zum Gesetze. Vögel, die den Würmern nachstellen, sind Beschützer, des Gartens, u. s. w.
Man muß den Kindern also einige Begriffe von dem höchsten Wesen beybringen, damit sie, wenn sie Andere bethen sehen u. s. w. wissen mögen, gegen wen und warum dieses geschieht. Diese Begriffe müssen aber nur wenige an der Zahl, und, wie gesagt, nur
negativ seyn. Man muß sie ihnen aber schon von früher Jugend an beyzubringen anfangen, dabey aber ja dahin sehen, daß sie die Menschen, nicht nach ihrer Religionsobservanz schätzen, denn ungeachtet der Verschiedenheit der Religionen, giebt es doch überall Einheit der Religion.
Wir wollen hier nun noch zum Schlusse einige Bemerkungen beybringen, die vorzüglich von der Jugend, bey ihrem Eintritte in die Jünglingsjahre, sollten beobachtet werden. Der Jüngling fängt um diese Zeit an, gewisse Unterschiede zu machen. Nämlich erstens den Unterschied des Geschlechtes. Die Natur hat hierüber eine gewisse Decke des Geheimnisses verbreitet, als wäre diese Sache etwas, das dem Menschen nicht ganz anständig, und blos Bedürfniß der Thierheit in dem Menschen ist. Die Natur hat aber gesucht, diese Angelegenheit mit aller Art von Sittlichkeit zu verbinden, die nur möglich ist *). Selbst
die wilden Nationen betragen sich dabey mit einer Art von Scham und Zurückhaltung. Kinder legen den Erwachsenen bisweilen hierüber vorwitzige Fragen vor, z. E. wo die Kinder herkämen? sie lassen sich aber leicht befriedigen, wenn man ihnen entweder unvernünftige Antworten, die Nichts bedeuten, giebt; oder sie mit der Antwort, daß dieses Kinderfrage sey; abweiset.
Die Entwickelung dieser Neigungen bey dem Jünglinge ist mechanisch, und es verhält sich dabey, wie bey allen Instinkten, daß sie sich entwickeln, auch ohne einen Gegenstand zu können. Es ist also unmöglich, den Jüngling hier in der Unwissenheit, und in der Unschuld, die mit ihr verbunden ist, zu bewahren. Durch Schweigen macht man das Uebel aber nur noch ärger. Dieses sieht man an der Erziehung unserer Vorfahren. Bey der Erziehung in neuern Zeiten nimmt man richtig an, daß man unverhohlen, deutlich und bestimmt mit dem Jünglinge davon reden müsse. Es ist dies freylich ein delikater Punkt, weil man ihn nicht gern als den Gegenstand eines öffentlichen Gespräches ansieht. Alles wird aber dadurch gut gemacht, daß man mit würdigem Ernste davon redet, und daß man in seine Neigungen entrirt *).
Das 13te oder 14te Jahr ist gewöhnlich der Zeitpunkt, indem sich bey dem Jünglinge die Neigung zu dem Geschlechte entwickelt, (es müßten denn Kinder verführt und durch böse Beyspiele verdorben seyn, wenn es früher geschähe). Ihre Urtheilskraft ist dann auch schon ausgebildet, und die Natur hat sie um die Zeit bereits präparirt, daß man mit ihnen davon reden kann.
Nichts schwächet den Geist wie den Leib mehr, als die Art der Wollust, die auf sich selbst gerichtet ist, und sie streitet ganz wider die Natur des Menschen. Aber auch diese muß man dem Jünglinge nicht verhehlen. Man muß sie ihm in ihrer ganzen Abscheulichkeit darstellen, ihm sagen, daß er sich dadurch für die Fortpflanzung des Geschlechtes unnütz mache, daß die Leibeskräfte dadurch am allermeisten zu Grunde gerichtet werden, daß er sich dadurch ein frühes Alter zuziehe, und sein Geist sehr dabey leide *). u. s. w.
Man kann den Anreizen dazu entgehen, durch anhaltende Beschäftigung, dadurch, daß man dem Bette und Schlafe nicht mehr Zeit widmet, als nöthig ist. Die Gedanken daran muß man sich durch jene Beschäftigungen aus dem Sinne schlagen, denn, wenn der Gegenstand auch nur blos in der Imagination bleibt, so nagt er doch an der Lebenskraft. Richtet man seine Neigung auf das andere Geschlecht, so findet man doch noch immer einigen Widerstand, richtet
man sie aber auf sich selbst, so kann man sie zu jederzeit befriedigen. Der physische Effekt ist überaus schädlich, aber die Folgen in Absicht der Moralität, sind noch weit übler. Man überschreitet hier die Gränzen der Natur, und die Neigung wüthet ohne Aufhalt fort, weil keine würkliche Befriedigung Statt findet. Lehrer bey erwachsenen Jünglingen, haben die Frage aufgeworfen: ob es erlaubt sey, daß ein Jüngling sich mit dem andern Geschlechte einlasse? Wenn eines von beyden gewählt werden muß: so ist dies allerdings besser. Bey jenem handelt er wider die Natur, hier aber nicht. Die Natur hat ihn zum Manne berufen, sobald er mündig wird, und also auch seine Art fortzupflanzen; die Bedürfnisse aber, die der Mensch in einem kultivirten Staate nothwendig hat, machen, daß er dann noch nicht immer seine Kinder erziehen kann. Er fehlt hier also wider die bürgerliche Ordnung. Am besten ist es also, ja, es ist Pflicht, daß der Jüngling warte, bis er im Stande ist, sich ordentlich zu verheirathen. Er handelt dann nicht nur, wie ein guter Bürger *).
Der Jüngling lerne frühzeitig, eine anständige Achtung vor dem andern Geschlechte hegen, sich dagegen
durch lasterfreye Thätigkeit, desselben Achtung erwerben, und so dem hohen Preise einer glücklichen Ehe entgegenstreben.
Ein zweyter Unterschied, den der Jüngling um die Zeit, da er in die Gesellschaft eintritt, zu machen anfängt, besteht in der Kenntniß von dem Unterschiede der Stände und der Ungleichheit der Menschen. Als Kind muß man ihm diese gar nicht merken lassen. Man muß es ihm selbst nicht einmal zugeben, dem Gesinde zu befehlen. Sieht es, daß die Eltern dem Gesinde befehlen: so kann man ihm allenfalls sagen: wir geben ihnen Brod, und dafür gehorchen sie uns, du thust das nicht, und also dürfen sie dir auch nicht gehorchen. Kinder wissen davon auch Nichts, wenn Eltern ihnen nur nicht selbst diesen Wahn beybringen. Dem Jünglinge muß man zeigen, daß die Ungleichheit der Menschen eine Einrichtung sey, welche entstanden ist, da ein Mensch Vortheile vor dem andern zu erhalten gesucht hat. Das Bewußtseyn der Gleichheit der Menschen, bey der bürgerlichen Ungleichheit kann ihm nach und nach beygebracht werden.
Man muß bey dem Jünglinge darauf sehen, daß er sich absolut und nicht nach Andern schätze. Die Hochschätzung Anderer in dem, was den Werth des Menschen gar nicht ausmacht, ist Eitelkeit. Ferner muß man ihn auch auf Gewissenhaftigkeit in allen Dingen hinweisen, und er auch darin nicht blos scheine, sondern alles zu seyn sich bestrebe. Man muß ihn darauf aufmerksam machen, daß er in keinem Stücke, wo er einen Vorsatz wohl überlegt hat, ihn zum leeren Vorsatze werden lasse. Lieber muß man keinen Vorsatz fassen, und die Sache im Zweifel lassen;
– auf Genügsamkeit mit äußern Umständen, und Duldsamkeit in Arbeiten: Sustine et abstine; – auf Genügsamkeit in Vergnügungen. Wenn man nicht blos Vergnügen verlangt, sondern auch geduldig im Arbeiten seyn will, so wird man ein brauchbares Glied des gemeinen Wesens, und bewahrt sich vor Langweile.
Auf Fröhlichkeit ferner und gute Laune, muß man den Jüngling hinweisen. Die Fröhlichkeit des Herzens entspringt daraus, daß man sich nichts vorzuwerfen hat; – auf die Gleichheit der Laune. Man kann sich durch Uebung dahin bringen, daß man sich immer zum aufgeräumten Theilnehmer der Gesellschaft disponiren kann. –
Darauf, daß man immer wie Pflicht ansieht. Eine Handlung muß mir werth seyn, nicht, weil sie mit meiner Neigung stimmt, sondern, weil ich dadurch meine Pflicht erfülle. –
Auf Menschenliebe gegen Andere, und dann auch auf weltbürgerliche Gesinnungen. In unserer Seele ist etwas, daß wir Interesse nehmen 1) an unserm Selbst, 2) an Andern, mit denen wir aufgewachsen sind, und dann muß 3) noch ein Interesse am Weltbesten Statt finden. Man muß Kinder mit diesem Interesse bekannt machen, damit sie ihre Seele daran erwärmen mögen. Sie müssen sich freuen über das Weltbeste, wenn es auch nicht der Vortheil ihres Vaterlandes, oder ihr eigner Gewinn ist. –
Darauf, daß er einen geringen Werth setze in den Genuß der Ergötzlichkeiten des Lebens. Die kindische
Furcht vor dem Tode wird dann wegfallen. Man muß dem Jünglinge zeigen, daß der Genuß nicht liefert, was der Prospect versprach. –
Auf die Notwendigkeit endlich, der Abrechnung mit sich selbst an jedem Tage, damit man am Ende des Lebens einen Ueberschlag machen könne, in Betreff des Werthes seines Lebens.