SGIPT
- Gesellschaft für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
- Deutschland
Internet Publikation für
Allgemeine und Integrative Psychotherapie
IP-GIPT DAS=02.02.2002
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Willkommen in unserer Abteilung Psychologie,
Soziologie und Kritik der Medien aus
Allgemeiner und Integrativer Perspektive, hier zum
Thema:
Die Rolle der PsychologInnen in den
Medien
von Eva Jaeggi und Heidi Möller
Abdruck für das Internet mit freundlicher
Genehmigung des Asanger-Verlages
Aus dem Journal für
Psychologie, Rubrik: Debatten und Kontroversen
_
Jaeggi, Eva & Möller, Heidi (1997). Die
Rolle der PsychologInnen in den Medien. Journal für
Psychologie, 5 (1), 59-64
_
Vorbemerkung
IP-GIPT: Die Medien und besonders das Fernsehen
spielen in den westlichen Gesellschaften eine kaum zu
überschätzende und kritikwürdige Rolle.
Auch die Psychologie und ihre jungen Schwestern
psychologische Psychotherapie, Lebens- Beratung und
Coaching werden hier ebenso stark wie problematisch
einbezogen. Die folgende Arbeit von Eva Jaeggi und Heidi
Möller aus dem allseits zu empfehlenden
Journal für Psychologie (offizielles
Organ der Neuen Gesellschaft für Psychologie,
kritisches Pendant zur konservativen, anglo-amerikanisch
geprägten Deutschen Gesellschaft für
Psychologie) - diese Nummer hat den Themenschwerpunkt
Psychotherapieforschung -, bringt die Probleme sehr
klar und deutlich auf den Punkt. |
Die Rolle der PsychologInnen in
den Medien
von Eva Jaeggi und Heidi Möller
Nahezu ständig klingelt das Telefon. Da
wollen die Bild-Zeitung, der Stern oder irgendein Fernsehsender
von uns wissen:
und ähnliches mehr.
Von »Cosmopolitan« über »Brigitte« bis »Fokus« wimmelt es von Psychothemen. Die Menschen scheinen Lebens- und Erziehungshilfe und Erklärungen auch ihrer banalsten Verhaltensweisen bedürftig zu sein.
AUS WELCHEN QUELLEN STAMMEN ALLE DIESE
ANFRAGEN?
Natürlich sind Sensationsgier und das
Schnüffeln in fremden Seelen (meist in fremden Betten) mit im
Spiel. Mediengesteuerter Tratsch vermillionenfacht Privates, das
eigentlich nur die Betroffenen angeht. Warum Gerhard Schröder
und Hilltrud sich getrennt haben und welche Besonderheiten wohl
die »Neue« aufweist: das geht natürlich niemanden
etwas an, ist aber offenbar sehr interessant und muß von
psychologischen Experten kommentiert werden. Reines Entertainment
spielt dabei eine große Rolle. Quiz-Sendungen, die gierig
gesehenen Shows der Sechziger- und Siebzigerjahre, sind vielen
schon langweilig geworden. Viel interessanter sind
»Live«- Enthüllungen von aufregenden Schicksalen,
die von Psychologen begleitet werden. Schließlich gibt es
noch ein großes Bedürfnis nach Ratgebern, das sich auch
in der Literatur niederschlägt. Psychologen sollen dann
für alle Lebenslagen womöglich »Rezepte« geben
können.
Die Psychologie ist zudem gefragt im Dienste von
Katastrophenphantasien: Da will zum Beispiel der Rundfunk wissen,
worauf die Zunahme der Mädchenmorde in Europa
zurückzuführen ist. Auf Rückfrage, woher sie, die
Journalistin, denn das wisse, beginnt sie zu stottern. Aber das
sei doch so, das wisse man eben. Die phantasierte Steigerung der
Kriminalitätsrate soll fachlich bestätigt werden. Wagen
wir differenzierte Stellungnahmen, hören die Journalisten
nicht mehr zu. Schlimmstenfalls multiplizieren sie die von uns
genannten Zahlen, so daß Kollegen, z.B. des BKA
(Bundeskriminalamt), nicht mehr für Interviews zur
Verfügung stehen, da sie noch nie erlebt haben, daß
ihre Zahlen exakt wiedergegeben werden. Eine wichtige Funktion von
Psychologen in den Medien scheint zu sein, dem Motto
»Apokalypse now« Futter zu liefern.
Woher kommt die Notwendigkeit, Psychologen zu allem Möglichen und Unmöglichen zu Rate zu ziehen? Psychologen scheinen eine Autorität zu verkörpern, die zunächst einmal legitimierend wirkt. Unter dem Deckmantel »Psychologe« läßt sich schier alles behaupten. Selbst die Vererbungstheorie kommt zu neue Ehren.
Die komplizierten sozialen und psychischen Verhältnisse einer Gesellschaft, die nur mehr wenig von Traditionen gesteuert wirdund der postmodernen Beliebigkeit verfallen ist, bereiten viel psychische Mühe. Oft müssen Menschen sehr viel Energie einsetzen, um sich ihre Verhaltensweisen klarzumachen und Handlungsweisen zu rechtfertigen. Die Berufung auf Althergebrachtes hilft selten. Also muß man sehen, was »die anderen« machen, und dies betrifft natürlich gerade die meist geheimgehaltenen Strebungen, Motive und Verhaltensweisen. Eigene Unsicherheit wird gemindert, wenn man sich in dem erhebenden Gefühl sonnen kann: »So bin ich nun gerade nicht!« - womit das Perverse ausgeschlossen wird aus dem eigenen Alltag, in Form der Sensationsgier aber natürlich erlaubten Zutritt hat und dafür gesorgt ist, daß auch eigene perverse Anteile befriedigt werden. Interesse und Empörung der Öffentlichkeit in bezug auf Kinderpornographie und Inzest läßt in dieser Hinsicht einiges ahnen über die »dunklen Kontinente« auch von Lieschen Müller und Hänschen Meier.
Was die Gier nach Katastrophenmeldungen anbelangt, so ist hier ein recht kompliziertes Geflecht von Motiven am Werk. Sicher ist auch hier das erhebende »Ich bin's nicht« (der Raubmorde begeht und Atomwaffen produziert) wichtig. Aber auch die Lust am Untergang, am totalen Chaos ist vermutlich oft am Werk. Die schwierige Chiffre, die Freud dazu benutzt (»Todestrieb«) drängt sich auf. Ist es über einen gewissen Zeitraum hinweg in Deutschland heiß - so schmelzen die Pole; erleben wir nicht die gewohnten Sommertemperaturen - so droht, laut den Medien, die neue Eiszeit.
WAS SPRICHT GEGEN EINE BETEILIGUNG DER
PSYCHOLOGINNEN IN DEN MEDIEN?
Es gibt viele Argumente gegen eine Beteiligung von
Psychologen an diesen Medienspielen, aber auch einige, die
durchaus dafür sprechen.
Aber was in welchen Zusammenhängen spricht
dagegen? Die wenigsten Journalisten wollen es »genau«
wissen; sobald eine bestimmte Tiefungsebene angestrebt wird, lenkt
der Moderator ab. Niemand von uns will zwar für den
Boulevardjournalismus mißbraucht werden. Trotzdem verhelfen
wir den niveaulosen Talk-Shows zu einem Anstrich von
Seriosität und Legitimität.
Das Auftauchen in Talk-Shows mit abgenudelten, individualisierenden Themen, die wenig emanzipatorische Relevanz haben und schon gar nicht gesellschaftskritisch angelegt sind, Themen, die zumeist voneinander abgeschrieben werden, nach dem Motto: »Das hat Ilona Christen gerade gemacht, da müssen wir zwei Monate warten«, verhelfen unserem Berufsstand nicht gerade zu Ehren. Vielleicht verhilft es einigen Kollegen allerdings zu einem besseren Verkauf ihres Buches oder zu einer volleren Praxis. Dies aber sollte natürlich nicht bestimmend sein.
Aber auch die Antworten auf die berechtigten Fragen nach »Rat« sind prekär. Die Botschaft, die wir fast genötigt werden zu verkünden: Alles im menschlichen Erleben ist erklärbar, es gibt keine offenen Fragen, und alles ist auch aufhebbar und prinzipiell lösbar und zwar recht schnell. Da verkommt Psychologie via Television zur Medikamentenvergabe. Da sollen wir teilnehmen an der Vernichtungskampagne allen leidvollen und schmerzhaften Phänomenen gegenüber, die menschliches Leben kennzeichnen. Ungewißheiten, Irritationen und gar Fragen sind nicht erwünscht, sondern: Der Psychologe soll als Phantasma der Postmoderne, als Gewährsmann gegen die narzißtischen Kränkungen der modernen Zeit wirken. An dieser Stelle »greift« dann die narzißtische Verführung von uns in Medien auftauchenden PsychologInnen. Neben der Verlockung des Geldes und der Gratifikation exhibitionistischer Neigungen von PsychologInnen, die immer wieder einmal den Gang vor die Kamera tun, stehen wir in der Gefahr, die Illusion der psychologischen Gewißheiten zu bedienen. Wir geraten in die Position der moralischen Instanz, des »postmodernen Über-Ichs«, das über richtig und falsch entscheiden soll und es indirekt auch tut. Immer wieder wird gefragt:
Was soll man tun, wenn der Partner mich
verläßt?
Wie oft ist es für ein Paar richtig,
miteinander zu schlafen?
Wie häufig soll man als verheiratete Frau die
beste Freundin sehen?
Wie erhält man eine Ehe sexuell
interessant?
Sich dem hysterischen Fragemodus der Lösung sofort zu unterwerfen, stellt dabei eine von den Medien verordnete Notwendigkeit dar. Wenn wir immer nur Fragen aufwerfen und die Problematisierung vorantreiben, werden wir nicht mehr eingeladen. So gerieren wir uns als Alles- und Besserwisser.
ZUR ILLUSTRATION DAS NEGATIVSTE UNS BEKANNTE
BEISPIEL
Eine Kollegin berichtet hocherfreut, daß sie
jetzt auch beim Fernsehen arbeitet. Sie wurde angefragt, bei einer
daily Talk-Show zum Thema »Kuckuckskinder« mitzuwirken.
Es sollte um Kinder gehen, die mit der falschen Gewißheit
über die Identität ihres Vaters leben. Live auf dem
Sender, vor laufender Kamera sollte nun einem 15jährigen
Jungen mitgeteilt werden, daß er nicht der Sohn seines
Vaters ist. Der Sender möchte, daß die Kollegin sich
nach der Sendung um den Jungen kümmert, und verspricht,
für die eventuell entstehenden Therapiekosten geradezustehen.
Ihr Ehemann wird gleich mit engagiert, um die psychische Betreuung
der sich outenden Mutter zu übernehmen.
Solch eine Sendung läßt sich als Mediensadismus beschreiben, denn wissentlich wird psychisches Leid von Menschen in Kauf genommen, um der Sendequoten willen. Der Sender weiß um die zerstörerische Kraft dieses Settings, sonst würde er nicht großzügig die Therapiekostenübernahme in Aussicht stellen. Die Kollegin schwärmt jedoch recht ungebrochen von der Wichtigkeit, dem Jungen endlich reinen Wein über seine wahre Existenz einzuschenken, ein Kind habe schließlich ein Recht darauf zu erfahren, wer sein leiblicher Vater sei. Dies Ereignis kommt dem amerikanischen Fernsehalltag recht nahe. Die exhibitionistischen Wünsche der Talkgäste werden genutzt, um »Erlebnisfernsehen« zu produzieren, dessen Folgen für die Teilnehmer der Sendungen nicht überschaubar sind.
Die Talkgäste stellen oft eine Art Übertragungsbeziehung zur Institution Fernsehen her, nach dem Motto: »Der große Vater wird es richten«. Der Auftritt in einer Talkshow wird z.B. als Waffe im Scheidungskrieg benutzt. Der Partner soll in aller Öffentlichkeit diffamiert und dadurch sozial isoliert werden. Pfarrer Fliege steht als mächtiger Bündnispartner zur Seite. Die Inszenierung seitens der großen Fernsehsender geht auf. Schutz, Parteilichkeit mit den »Kleinen« gegen die »Großen« wird durch künstliche Empörung hergestellt und Verständnis durch die Medien suggeriert. Zum Teil wird sogar finanzielle Hilfe angeboten (z.B. Fliegefond) und das Desaster riskanter Lebensführung gemildert. Der Fernsehsender wird zum großen Bruder, zum persönlichen Vertrauten, der kommentiert, bewertet und jederzeit Rat weiß.
Im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stehen, für eine Zeitspanne wichtig zu sein und versorgt zu werden, kann den Talkgästen eine Zeit lang Entlastung gewähren. In der Regel sind sie durch das Setting TV nahezu euphorisiert. Der Preis dafür erscheint jedoch hoch: Weg mit Schamgefühlen und Schmerzgrenzen! Die Talkgäste spüren oft nicht, daß sie nichts weiter sind als verdinglichte Quotenbringer. Sie erhalten keinerlei Kontrolle über das Geschehen und werden mit Scheinsolidarität des großen Senders mit den vom Schicksal Gebeutelten abgespeist. Später dann werden die Talkgäste auf der Straße angesprochen, müssen damit z.B. in ihrer Hausgemeinschaft leben, daß sie sich mit ihrer Perversion geoutet haben. Nachträglich stellt sich ein massives Schamgefühl ein, das zuvor, durch das Glücksgefühl, im Fernsehen auftreten zu können, betäubt war. Werden der Ex-Ehemann oder die Eltern vor Millionen beschimpft, so tauchen zeitverzögert Loyalitätskonflikte auf, ähnlich, wie wir sie von gewaltsamen Gestaltsessions vor 20 Jahren erlebt haben. Die befreiende Wirkung des sich »Outens« wird lediglich vorgegaukelt: »Wie gut, daß wir darüber gesprochen haben« heißt es meist zum Schluß der Fliegeshow. Er bezeichnet seine Sendung als die größte Selbsthilfegruppe der Nation. Dabei dient die recht suggestive Interviewtechnik der Talkmaster à la Christen, Meiser und Schreinemakers zumeist der Selbstinszenierung der Talkmaster. Sie entwerfen sich als Menschenfreunde, die alles verstehen und denen nichts Menschliches fremd ist. Dabei darf eine emotionale Tiefe nur angedeutet werden. Keinesfalls darf tiefes menschliches Leid zu sehr Raum greifen, dann wird sofort das Thema gewechselt, um die Angst von Talkmaster und Zuschauer vor ungezähmter Emotionalität zu bändigen.
WAS SPRICHT FÜR EINE BETEILIGUNG DER
PSYCHOLOGEN IN DEN MEDIEN?
Auf der anderen Seite ist die Kritik von Heiko
Ernst, dem Chefredakteur von »Psychologie Heute« im 2.
Heft des Journals für Psychologie 1996, ernstzunehmen. Er
benennt darin seine Enttäuschung über die Neue
Gesellschaft für Psychologie, weil auch wir uns zu wenig mit
Fragen, die die Menschen wirklich bewegen, beschäftigen. Auch
wir bleiben oft Antworten schuldig. Praktiker fühlen sich von
uns ebenso im Stich gelassen, wie die interessierte
Öffentlichkeit. Er mahnt zu Recht, wir sollten uns um
gesellschaftliche Probleme kümmern, weil sie immer auch
individuell repräsentiert sind. Wir hätten zu wenig
getan, die Kluft zwischen Wissenschaft und öffentlichem
Interesse zu überbrücken. Wir zeigten zu brisanten
gesellschaftlichen Themen wie Arbeitslosigkeit, Esoterikboom und
Computerkindern zu wenig Flagge. Informationen zu geben, den
Erklärungsbedarf der Gesellschaft ernst zu nehmen und
Position zu beziehen: das sei unsere originäre (im
übrigen auch in der Satzung festgehaltene)
Aufgabe.
Die Vielzahl der Anfragen ist andererseits auch
Ausdruck eines Machtzuwachses der Profession Psychologie. Es
scheint einen Wechsel der wissenschaftlichen Vorherrschaft von der
Soziologie, die in den 60er, 70er Jahren die Referenztheorie der
Wahl war, zur Psychologie zu geben. Tatsache ist, daß wir
mit unseren Publikationen zwar lediglich eine kleine
Fachöffentlichkeit erreichen, im Fernsehen hingegen von
Millionen gesehen werden; auch dies stellt eine Chance dar, den
Transfer psychologischen Wissens zu vollziehen.
So ist der Auftritt in den Medien sicherlich von berufspolitischer Relevanz. Der finanziellen Einschränkungen im Bereich der Gesundheitsförderung, der Abschaffung der Finanzierung der Psychotherapie im Erstattungsverfahren u.v.m., steht auf der anderen Seite ein Boom der Psychologie in den Medien gegenüber, der dafür gesorgt hat, daß Psychotherapie inzwischen eine sehr viel höhere Akzeptanz erlangt hat als früher. Der Gang zum Psychotherapeuten als Methode der Wahl bei persönlichen Problemen ist nahezu Alltagskonsens geworden.
Psychologen sollen Antworten geben, der Wunsch der Öffentlichkeit nach fachlichen Hinweisen ist durchaus legitim. Auch als Wissenschaftler sollten wir darauf achten, Fragen zu beantworten, die die Menschen bewegen. Es genügt nicht, wenn wir uns nur mit Themen beschäftigen, die wir selbst als interessant und relevant erachten. Der Psychologendiskurs hat längst Einzug in die privaten Auseinandersetzungen gefunden. Da wird heftig (hobby)-analysiert und interpretiert (der hat 'nen Minderwertigkeitskomplex, weil der so klein ist, der hat einen Mutterkomplex etc.), Begriffe werden (oft inadäquat) verwandt, wie zum Beispiel der Ödipuskomplex oder die Verdrängung. Psychologen sollten mithelfen, dem Laien solche Konzepte begreiflich zu machen, damit sie wirklich hilfreich sein können.
Was tun?
Es gibt Fragen, die auf den ersten Blick sinnvoll
scheinen, zum Beispiel die Frage, (anläßlich von
Ausschreitungen bei Fußballspielen) wie Massenhysterien
zustandekommen. Vernünftig scheint uns auch die Frage, was
Phobien sind, wie man Depressionen erklären kann oder ob
Verhaltenstherapie wirklich besser ist als Psychoanalyse. Andere
Fragen - zum Beispiel die nach Freitag dem Dreizehnten - scheinen
zwar banal, können aber durchaus mit psychologischem
Fachwissen beantwortet werden. Allerdings sind hier sicher die
Frage transzendierende Überlegungen angebracht, z.B. ganz
allgemein etwas auszusagen über die Funktion von Aberglauben,
die auch dem Laien einiges klarmachen können.
Als eine allererste Faustregel gilt: möglichst keine Kurzinterviews zu geben. Antworten auch auf sinnvolle Fragen fallen dabei notwendigerweise verkürzt und daher unverständlich, falsch und mißverständlich aus. Wir haben unsere Wissenschaft in langjährig mühevoller Theorieausbildung und Praxis gelernt, die meisten wirklich wichtigen Fragen sind nicht in ein paar Minuten zu beantworten. Es stellt eine Beleidigung für unseren Berufsstand dar, wenn uns ein solches Ansinnen gestellt wird. Da die Worte, die wir benutzen, häufig Alltagsworte sind, herrscht bei vielen Laien die Vorstellung vor, man könne alles ganz leicht erklären, verstehen und daher auch recht rasch beheben. Wenn wir aber das Wort »Depression« oder »Angst« verwenden, dann hat dies für uns Psychologen einen Bedeutungshorizont, der von dem vieler Laien recht verschieden ist, und wir müssen erst erklären, wie unser Bedeutungshorizont aussieht. Das aber erfordert Zeit und Geduld beim Zuhören. Stimmt man den »Schnell-Antworten« zu, dann können auch sinnvolle Fragen recht merkwürdige und mißverständliche Antworten hervorrufen.
Die Unterscheidung zwischen sinnvollen, beantwortbaren und unbeantwortbaren Fragen ist nicht ganz leicht. Einige Kriterien lassen sich aber auch hier aufstellen: Ganz sicher sind wir nicht befugt, für Menschen, die in der Offentlichkeit stehen, irgendwelche Deutungen abzugeben.(»Warum hat Diana Bulimie? Was hat die Therapeutin des Heidemörders bewogen, ihn zu befreien? Sollte Frau Juhnke sich scheiden lassen?«) Die Interpretation der Lebens- oder Leidenssituation eines konkreten Menschen ist nur aufgrund erfahrungsgeleiteter Befragungen und Beobachtungen des Betroffenen möglich und sollte nur dann erfolgen, wenn dessen Auftrag vorliegt. Alles andere ist unprofessionell und unmoralisch, weil die Intimsphäre des Betroffenen verletzt wird.
Auch Fragen, die angebliche
»Trendmeldungen« betreffen, müssen mit Vorsicht
behandelt werden. Rückfragen, woher der angebliche Trend
stammt (aus der Kantine des Senders, ausgekungelt unter
Journalisten?) sind unbedingt nötig. Statistiken sollten
sichergestellt werden, die Problematik statistischer Aussagen
muß klargemacht sein, und zwar in bezug auf das Thema.
Beispiel: Singles sind kränker als Verheiratete, wie kommt
das? Hier müßte die Expertin wissen und erklären,
daß solche Aussagen nichts bedeuten, weil diese Aussagen
erstens schichtspezifisch unterschiedlich variiert werden
müssen, zweitens nach Geschlecht differieren und sich
drittens die Frage nach Henne und Ei stellt,
u.ä.m.
Die meisten Journalisten möchten ihren
ungeduldigen Hörern solche Überlegungen nicht zumuten
und schneiden dies u.U. aus dem Gespräch heraus. Wenn sie
aber wollen, daß wirkliche Fachleute ihnen Überlegungen
zu diesem Themenkomplex anbieten, dann müssen sie schon
Geduld aufbringen. Kein Journalist würde es wagen, einem
theoretischen Physiker zuzumuten, auf die Frage: »Was ist ein
Quarks?« in drei Minuten zu antworten. Als Psychologin sollte
man sich einer Anfrage der Medien nur dann stellen, wenn man
sicher ist, daß die eigene Antwort nicht nur
Stammtischpsychologie ist, sondern daß man über
wirkliche Kenntnisse verfügt, die über laienhafte
Alltagspsychologie hinausgeht. Intelligente Laien sagen sonst mit
Recht: »Und dazu muß man jahrelang
studieren?«
Alle Fragen, die echte Leidenszustände betreffen, nachgewiesene Trends, die merkwürdig sind, destruktive Phänomene, die das Leben unter Menschen erschweren, können natürlich von Psychologinnen (mit) erklärt werden. Aber sie sollten sich dann auf keinen Fall ohne weiteres einlassen auf die berühmte Frage »Und was kann man dagegen tun?«.
Wenn Psychologinnen die Wissenschaft vom
Menschen ernst nehmen, dann wissen sie auch, wie schwer es ist,
für echte Lebensprobleme Lösungen zu finden, daß
Lösungen kaum je generellen Charakter haben, daß eine
behutsame Exploration des einzelnen und seiner Mitwelt nötig
ist, um eine komplizierte Lebenssituation mit Ratschlägen zu
begleiten. So zu tun, als gäbe es den Top-Ratschlag, (wie man
mit der Untreue des Ehemannes umgeht, was man tut, wenn der
Partner vor dem Geschlechtsverkehr Windeln benutzen will) bedeutet
eine Diffamierung unseres Berufes und dessen, was wir in
mühevoller Arbeit gelernt haben.
Was aber, so wird man fragen, ist Eure
Wissenschaft wert, wenn Ihr keine Ratschläge geben
könnt? Sie wird nicht mehr wert, wenn wir so tun, als
wüßten wir für alles einen probaten Rat. Der
Verbraucher weiß ziemlich bald, daß er mit billigem
Trost und unhandlichen Worten abgespeist wird. Wir werden sehr
viel mehr wert sein, wenn wir uns und unseren Fragestellern
klarmachen, daß vor dem Handeln die Reflexion kommt;
daß die Aufklärung eines komplexen psychischen
Tatbestandes wichtiger ist als das Aufzeigen sofortiger
Handlungsmöglichkeiten, die sowieso fast immer der einzelne
für sich finden muß. Eine sorgfältige
Aufklärung über bestimmte Phänomene ist ein
wichtiger Schritt davor. Mehr können wir nicht leisten. So zu
tun »als ob«: das ist Betrug und Bauernfängerei und
übrigens sehr schnell zu durchschauen. Dies nützt
niemandem, außer den Journalisten, die gerne ein Happy-End
in ihre Sendungen oder Artikel einbauen. Dieses aber sollten wir
ihnen nicht gönnen.
Literatur
GOLDNER, COLIN (1996): Meiser, Fliege & Co:
Ersatztherapeuten ohne Ethik, Psychologie Heute, 6, S. 20 -
27
SEEL, HANS-JÜRGEN & SICHLER, RALPH
(1996): Person und Wissenschaft im Gespräch mit Heiko Ernst,
Chefredakteur der Zeitschrift »Psychologie heute«,
Journal für Psychologie, 2, S. 61 - 73.
Querverweise
Dieter Prokop: Der Kampf um die
Medien. Das Geschichtsbuch der neuen kritischen
Medienforschung. Buchhinweis mit
Leseproben.
Überblick Programm Politische Psychologie
in der IP-GIPT
Zitierung
SGIPT (DAS).
Jaeggi, Eva & Möller, Heidi (1997). Die Rolle der
PsychologInnen in den Medien. Journal für Psychologie, 5 (1),
59-64. IP-GIPT. Erlangen:
http://www.sgipt.org/medien/jaegmoel.htm
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akzeptiert.
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