[werner.stangl]s arbeitsblätter 

If you want to know what is wrong with a client, ask him; he might tell you.
George A. Kelly, The Psychology of Personal Constructs.

Klientenzentrierte Therapie: Carl Ransom Rogers (1902 -1987)

Klientenzentrierte Therapie Carl Random RogersDie psychoanalytische Therapie nimmt traumatische Erlebnisse aus der Vergangenheit des Patienten auf und will ihn von den Symptomen derselben befreien. In den sechziger Jahren entstehen in der Reaktion darauf eine Reihe von Therapieformen, die die Bewusstwerdung (Awareness) der Erfahrungen und Verhaltensweisen des Klienten sowie die Begegnung (Encounter) in den Mittelpunkt der therapeutischen Bemühungen stellen. Dieser Therapieansatz stützt sich auf Elemente wie Offenheit, Selbstbewusstsein, Verantwortlichkeit, Aufmerksamkeit für Gefühle, Empathie und das bewusste Erleben der Gegenwart. 

Rogers hat daher eine klinisch orientierte Theorie entwickelt, die auf jahrelanger Erfahrung im Umgang mit seinen Klienten basiert. In dieser Hinsicht gibt es also zum Beispiel Parallelen zu Freud. Eine weitere Gemeinsamkeit liegt in der ausgesprochen reichhaltigen und ausgereiften Theorie mit breiter Anwendungsmöglichkeit. Eine Differenz besteht darin, dass die Menschen in Rogers Sicht grundlegend gut oder gesund sind - oder doch zumindest nicht böse oder krank. Er betrachtet psychische Gesundheit somitz als den normalen Werdegang des Lebens, während psychische Erkrankungen, Kriminalität und andere menschliche Schwierigkeiten als eine Störung dieser natürlichen Entwicklungsneigung angesehen werden. Anders als Freuds Theorie ist Rogers Theorie zudem relativ einfach, denn sie ist auf einer einzigen "Lebenskraft" (force of life) aufgebaut, die er als die "actualizing tendency" bezeichnet. Man kann sie als die dem Menschen eigene Motivation definieren, die eigenen Potentiale zu einem größtmöglichen Ausmaß auszubauen - eine Motivation, die jeder Lebensform eigen ist. Rogers geht davon aus, dass alle Lebewesen danach streben, aus ihrer Existenz das Beste herauszuholen. Gelingt es ihnen nicht, liegt es nicht daran, dass ihnen das Sehnen danach fehlt. Damit vereint Rogers in einem einzigen großen Bedürfnis oder einer einzigen Motivation all die anderen Motive, von denen die übrigen Theoretiker sprechen. Er fragt: Warum brauchen wir Luft und Wasser und Nahrung? Warum suchen wir Sicherheit, Liebe und das Gefühl der eigenen Kompetenz? Warum suchen wir eigentlich nach neuen Medikamenten, erfinden neue Energiequellen oder erschaffen neue Kunstwerke? Weil es in unserer Natur als lebendigen Wesen liegt, das Beste zu tun, das wir können. Rogers wandte diesen Grundgedanken auch auf Ökosysteme an, dass etwa ein Wald in all seiner Komplexität ein weit größeres Aktualisierungspotential hat, als ein simpler aufgebautes Ökosystem wie ein Getreidefeld. Würde in einem Wald eine Käferart aussterben, werden andere Lebewesen die so entstandene Lücke wahrscheinlich ausfüllen; andererseits aber führt ein Befall mit Getreideschädlingen dazu, dass ein ganzes Kornfeld vernichtet wird. Ähnliches gilt für Menschen als Individuen: Leben sie so, wie sie sollten, entwickeln sie sich zu zunehmender Komplexität wie der Wald und bleiben so angesichts der größeren und kleineren Katastrophen des Lebens flexibel. Während Menschen ihre Potentiale aktualisierten, haben sie die Gesellschaft und die Kultur erschaffen. Menschen sind soziale Wesen und es entspricht ihrer Natur. Doch als sie die Kultur erschufen, entwickelten sie ein Eigenleben. Statt nah an ihrer menschlichen Natur orientiert zu bleiben, entwickelte sich die Kultur zu einer eigenständigen Kraft, sodass eine Kultur, die dem Bedürfnis nach Aktualisierung widerspricht, auf lange Sicht aussterben wird.

Meistens findet die Encounter-Therapie in der Gruppe statt, auch wenn Einzeltherapien oder eingeschobene Einzelsitzungen nicht ausgeschlossen werden. Im Gegensatz zur klassisch psychoanalytischen Therapie, bei der der Therapeut sich passiv verhalten soll und dem Patienten lediglich seine schwebende Aufmerksamkeit widmet, wird in den Encounter Therapien verlangt, dass der Therapeut sich aktiv am Gruppengeschehen beteiligt. Nicht die rationale Verarbeitung früherer Traumen, sondern das gemeinsame Handeln und Erleben steht für die Gruppe im Mittelpunkt. Das erklärte Ziel ist dabei, die Teilnehmer der Therapiegruppe zu intensiver Interaktion zu bewegen, wobei der Therapeut Anleitungen gibt und unterstützend, unter Umständen auch korrigierend eingreift. Wie er das macht, bleibt ihm selbst überlassen; jede Technik kann sich als geeignet erweisen, wenn es ihm nur gelingt, blockierte Energien freizusetzen und er den Gruppenmitgliedern die Möglichkeit eröffnet, ihre versteckten Impulse und Fähigkeiten zum Ausdruck zu bringen. Mit der klientenzentrierten Therapie oder Gesprächstherapie untrennbar verbunden ist der Name Carl Ransom Rogers.

Carl Ransom Rogers wird am 8. Januar 1902 im amerikanischen Oak Park, Illinois, einem Vorort von Chicago, geboren als das 4. von 6 Kindern. Sein Vater war ein erfolgreicher Bauingenieur und seine Mutter eine Hausfrau und devote Christin. Er kam gleich in die zweite Klasse, da er schon lesen konnte, bevor er in den Kindergarten kam. Als Carl 12 Jahre alt war, ging seine Familie auf eine Farm 30 Meilen westlich von Chicago, und es war hier, wo er seine Jugendzeit verbrachte. Durch seine strenge Erziehung und viele unangenehme Arbeiten wurde Carl sehr einsam, unabhängig und selbstdiszipliniert. Er studiert zunächst Agrarwissenschaft, dann Geschichte, anschliessend Theologie. Während dieser Zeit wurde er als einer von 10 Studenten ausgewählt, 6 Monate nach Beijing für die World Student Christian Federation Conference zu gehen. Er schrieb später, dass diese neuen Erfahrungen sein Denken so erweitert hätten, dass er an den grundlegenden religiösen Sichtweisen zu zweifeln begann. Nach der Graduation heiratete er Helen Elliot (gegen den Wunsch ihrer Eltern) und ging nach New York City, und begann dort das Union Theological Seminary zu besuchen, einer berühmten liberalen religiösen Institution. Rogers wechselte schließlich zur Klinischen Psychologie der Columbia Universität und promoviert dort. Er wird 1940 an die Universität von Ohio berufen. Er begann schließlich seine klinische Arbeit an der Rochester Society for the Prevention of Cruelty to Children. In dieser Klinik wurde er mit der Theorie und den Therapietechniken von Otto Rank vertraut, welcher ihn anleitete, seine eigene Methode zu entwickeln. 1940 wurde ihm eine volle Professorenstelle an der Ohio Stat angeboten. 1942 schrieb er sein erstes Buch: "Counseling and Psychotherapy". 1945 wurde er zum Aufbau eines Beratungscenters an der Universität von Chicago eingeladen. 1951 publiziert er sein Hauptwerk "Client centered Therapy", in dem neben der praktischen Anwendung auch die theoretische Fundierung seiner Therapie erörtert wird. Seine letzte Professur führt ihn nach Wisconsin, wo er die Anwendung seiner Therapie auf psychotische Patienten erprobt. Bis zu seinem Tod im Jahr 1987 bleibt er dem von ihm gegründeten Studienzentrum für Therapeuten, die nach seiner Methode arbeiten wollen, eng verbunden.

Rogers Arbeitsweise ist von den Theorien der Neofreudianer Karen Horney und Harry Stack Sullivan beeinflusst. Während seiner Zeit an einem Institut zur Prävention von Gewalttaten an Kindern entdeckt er das Werk des Analytikers Otto Rank (1884-1939), der die These vertritt, dass jeder Mensch über starke selbstregulative Möglichkeiten verfügt. Das Individuum, so Rank, ist dynamisch und trägt den Willen zur Gesundheit in sich. Deshalb muss es die Aufgabe des Therapeuten sein, das Individuum so zu begleiten, dass es sich selbst besser versteht und akzeptiert. Rogers erfährt in seiner Arbeit mit Kindern, dass sie genauso wie Erwachsene fähig sind, ihr Leben aus eigenem Antrieb zu verändern, wenn man ihnen mit Verständnis und Liebe begegnet. Der Therapeut braucht keinen Weg vorzugeben, um dem Patienten die Lösung seiner Probleme zu errnöglichen, weil der Patient selbst eine positive Haltung zu seinem Leben entwickeln kann. Anders gesagt, der Therapeut muss in diesem Prozess nicht die Richtung bestimmen, weshalb diese Art der Therapie als non direktiv umschrieben wird. Für Rogers braucht der Therapeut eigentlich nicht mehr als eine bedingungslos positive Sichtweise. Er wird dem Klienten sein vollstes Vertrauen entgegenbringen und nie den Glauben daran aufgeben, dass er sich selbst verwirklichen möchte und alle dazu notwendigen Eigenschaften in sich trägt. Der Klient steht mit seiner Entwicklung im Zentrum der Therapie, daher die Bezeichnung klientenzentrierte Therapie. Die positive Veränderung seines Lebens verdankt der Klient der emotionalen Aufrichtigkeit und Empathie seines Therapeuten. Rogers Therapieform wird häufig auch nondirektive Therapie genannt. Im Mittelpunkt steht die Auffassung, dass der Mensch innerlich wächst und nach Selbstverwirklichung strebt. Die Therapie ist darauf gerichtet, das innere Wachstum störende Faktoren aus dem Weg zu räumen und dem Individuum auf diesem Weg eine Möglichkeit zu eigener Entwicklung zu geben. Der Patient, den Rogers durchwegs Klient nennt, um seine Gleichwertigkeit mit dem Therapeuten anzudeuten, kann seine Gefühle frei äußern, so wie es seinem Wesen entspricht, ohne dass er dabei vom Therapeuten behindert werden sollte. Der Therapeut interpretiert nicht, er stellt keine Diagnose, interveniert nicht und enthält sich überhaupt eines Urteils über seinen Klienten; alles was er tut ist, dem Klienten voller Mitgefühl zuzuhören und ihn zum Sprechen zu ermutigen, ihm insgesamt Mut zu machen, seine aktuellen Probleme zu lösen und seine Ziele zu verwirklichen. Dieser nondirektive Ansatz war es, der viele Scharlatane auf den Platz rief, die glaubte, dass sich Therapie in bloßer Anwesenheit des Therapeuten äussert und dafür keinerlei Ausbildung notwendig sei.

Kleiner Exkurs: Alle Kinder sind sind von Natur aus empathisch

Eine amerikanische Studie an Sieben- bis Zwölfjährigen zeigte, dass Empathie nicht erst durch Erziehung entsteht , denn sahen die Kinder Bilder, auf denen andere Menschen Schmerzen litten, so wurden im Gehirn jene Areale verstärkt durchblutet, die auch an der Verarbeitung von eigenem Schmerz beteiligt sind.

Die Persönlichkeitstheorie von Carl Rogers ist das Ergebnis seiner jahrzehntelangen therapeutischen Arbeit mit Menschen. Nach Rogers wird der Organismus des Menschen nicht durch Triebe, sondern von einer einzigen zentralen Energie, der angeborenen Tendenz zur Selbstaktualisierung, Selbsterhaltung und Selbstverwirklichung, gesteuert. Damit ist die Selbstaktualisierung das grundlegende Motiv für das Tätigwerden des Menschen, um Autonomie und Selbstständigkeit zu erlangen. Dabei entwickelt der Mensch die zunehmende Bereitschaft, sich für jede Art von Erfahrung zu öffnen und sich und andere so anzunehmen, wie sie sind. Das Kleinkind lernt etwa unter großen Anstrengungen den aufrechten Gang, obwohl es für es leichter ist zu krabbeln. Dadurch wird es von seiner Umwelt unabhängiger und erlangt somit einen kleinen Teil Autonomie.

Rogers meint, dass der Mensch die Erfahrungen, die er macht, in Beziehung zu dem grundlegenden Streben nach Selbsterhaltung und Selbstaktualisierung setzt. Das heißt, dass Erfahrungen, die die Selbstaktualisierung ermöglichen als positiv bewertet und deshalb weiterhin angestrebt werden, hingegen werden Erfahrungen, die diese verhindern oder gar bedrohen, negativ bewertet und vermieden werden (organismischer Bewertungsprozess). Rogers sieht den Menschen als bewusst handelndes Wesen, das von seinen Erfahrungen geleitet wird. All die individuellen Erfahrungen, die ein Mensch in seinem bisherigen Leben gemacht hat, verdichten sich zu einem für jede Person charakteristischen Wahrnehmungsfeld, seiner einzigartigen Realität. Entsprechend dieser Wahrnehmungen werden andere Personen, Dinge oder Ereignisse von einzelnen Personen unterschiedlich bewertet. Für einen Hardrock-Fan ist laute Rock-Musik ein Genuss, für einen Liebhaber klassischer Musik ist sie aber nur lautes Gedröhne ist, von dem er Kopfschmerzen bekommt.

Ein Teil dieses Wahrnehmungsfeldes entwickelt sich nach und nach zum Selbst oder Selbstkonzept der Person. Das Selbstkonzept ist also eine durch Erfahrungen gebildete und sich verändernde Struktur von Wahrnehmungen, Empfindungen und Werthaltungen, die diese Person bezogen auf sich selbst hat. Hat eine Person mehrfach die Erfahrung gemacht, dass ihr der Umgang mit fremden Menschen leicht fällt, dann wird sie sich als kontaktfreudig und aufgeschlossen betrachten. Sie wird gerne auf andere Menschen zugehen und gemeinsame Unternehmungen planen. Man unterscheidet beim Selbstkonzept einer Person zwischen dem Real-Selbst und dem Ideal-Selbst. Stimmen Real-Selbst und Ideal-Selbst weitestgehend überein, so ist man glücklich und ausgeglichen - er akzeptiert seine Schwächen und nutzt seine Stärken. Innere Spannungen, Ängste und Depressionen entstehen allerdings dann, wenn das Real-Selbst und das Ideal-Selbst zu sehr auseinander klaffen oder das Real-Selbst aufgrund der Ideale nicht akzeptiert wird.

Das Selbstkonzept wirkt nach dem Prinzip der "self-fulfilling prophecy", d.h., dass ein positives Selbstkonzept oft auch zu positiven Erfahrungen führt und sich somit selbst bestätigt. Misserfolge bei einem negativen Selbstkonzept bestätigen dieses genauso.

Das Bewusstsein über sich selbst, über individuelle Fähigkeiten und Eigenschaften, Stärken und Schwächen erwirbt der Mensch schon in seiner Kindheit durch Beziehungsbotschaften von Eltern, Lehrern und Erziehern. Schon bevor ein Kind die Sprache versteht, erfährt es durch die Art, wie die Eltern mit ihm umgehen Botschaften wie, ob es erwünscht oder unerwünscht ist. Diese Beziehungsbotschaften prägen das Selbstkonzept des Kindes grundlegend. Später werden diese Botschaften durch konkrete Aussagen verdichtet. Die Entwicklung der Persönlichkeit wird also durch bedingungslose Wertschätzung und Annahme der Person gefördert. Diese Person vertraut auf ihre Gefühle und lässt ihr Handeln auch davon leiten. Sie strebt nach Selbstaktualisierung und Selbstverwirklichung. Werden Wertschätzung und die Annahme einer Person allerdings von einer Bedingung abhängig gemacht, so wird die Entwicklung der Persönlichkeit gehemmt. Diese Person hat wenig bzw. kein Vertrauen in das eigene Erleben und orientiert ihr Verhalten an den Bewertungsbedingungen. Sie sucht ständig die Bestätigung und Anerkennung durch andere.

Jeder Mensch wird immer wieder mit neuen Selbsterfahrungen konfrontiert, die bisweilen sehr stark vom bestehenden Selbstkonzept abweichen können. Rogers glaubt, dass der Mensch immer versucht, diese Diskrepanz möglichst klein zu halten. Dabei sei die Qualität des Selbstkonzepts (positiv oder negativ) dafür verantwortlich, wie mit diesen Selbsterfahrungen umgegangen wird: ob sie angenommen oder ignoriert werden. Eine Person ist dann kongruent, wenn ihr aktuelles Verhalten und Erleben mit dem bestehenden Selbstkonzept weitgehend übereinstimmen. Ist dies nicht der Fall, so spricht man von Inkongruenz. Eine Mutter ist beispielsweise verärgert und wütend über ihren Sohn. Zeigt sie ihre Gefühle in angemessener Weise, so stimmt ihr Verhalten mit ihrem aktuellen Selbstkonzept "Meine Gefühle sind mir wichtig" überein. Sie verhält sich kongruent. Hat sie dagegen das Selbstkonzept "Eine gute Mutter darf keine negativen Gefühle haben", dann passen Ärger und Wut natürlich nicht in ihr Selbstkonzept. Sie unterdrückt diese Gefühle oder nimmt sie vielleicht gar nicht wahr. Ihr Erleben ist dann inkongruent.

Ein positives Selbstkonzept ist flexibel genug, neue Erfahrungen anzunehmen und sich ihnen anzupassen, wodurch es wieder zu einer weitgehenden Übereinstimmung zwischen dem Selbstkonzept und den gemachten Erfahrungen kommt, was wiederum dazu führt, dass die Person ausgeglichen und zufrieden ist. Vor allem Menschen mit einem negativen Selbstkonzept und geringer Selbstachtung versuchen, ihre verletzbare Selbststruktur rigide zu verteidigen und zu schützen. Jede Erfahrung, die ihr Selbstkonzept gefährdet und noch mehr in Frage stellt, wird als bedrohlich wahrgenommen. Um die bestehende Selbststruktur zu schützen, werden diese Erfahrungen abgewehrt. Zwei wesentliche Abwehrmechanismen sind hierbei die Verleugnung und Verzerrung. Bei der Verleugnung wird die Existenz einer Erfahrung völlig verneint. Bei der Verzerrung tritt die Erfahrung zwar ins Bewusstsein, ihre Bedeutung ist aber so verändert und entstellt worden, dass sie wieder mit dem aktuellen Selbstkonzept in übereinstimmt.
Beispiel: Die liebevolle Mutter (siehe oben) kann ihre negativen Gefühle völlig verneinen und ignorieren. Sie kann sie auch als momentanes Unwohlsein entstellen und damit ihre wahre Bedeutung verschleiern. Beide Abwehrreaktionen bewahren den Menschen davor, dass ihr beschädigtes Selbstkonzept weiter verletzt wird und ihre Selbstachtung noch mehr verloren geht. So lässt sich für kurze Zeit ein gewisser Grad an Übereinstimmung zwischen dem Selbstkonzept und den aktuellen Erfahrungen herstellen, eine Auseinandersetzung mit der Realität und die daraus resultierende Veränderung des Selbstkonzepts findet aber nicht statt. Wenn die aktuellen Erfahrungen einer Person ganz offensichtlich von ihrem Selbstkonzept abweichen, dann wird eine Abwehrreaktion immer schwieriger. "Angst ist dann die Antwort des Organismus auf die unterschwellige Wahrnehmung; eine solche Diskrepanz könnte gewahr werden und würde in der Folge eine Veränderung des Selbstkonzeptes erzwingen ( Rogers, 1989). Eine Person etwa, deren Selbstkonzept es ist, niemals zu hassen, wird Angst erleben, wenn die verleugneten Hassgefühle ganz offensichtlich in ihrer Phantasie oder in ihrem nonverbalen Verhalten auftreten. Gelingt die Abwehr der bedrohlichen Erfahrungen nicht mehr und drängen diese immer heftiger in das Bewusstsein, dann zerbricht schließlich die Selbststruktur und ein sehr widersprüchliches, psychisch fehlangepasstes Verhalten kann die Folge sein. So können verleugnete Hassgefühle ganz unvermittelt hervorbrechen, indem die Person andere anschreit. Kurze Zeit später entschuldigt sie sich für ihr unbeherrschtes Verhalten und verspricht, dass es nie wieder vorkommt. Inkongruenz führt längerfristig zu seelischen Störungen. Solche Personen brauchen dann therapeutische Hilfe, um die nicht gelöste Diskrepanz zwischen dem Selbstkonzept und der Erfahrung aufzuheben und ihr Selbstkonzept zu verändern.

Empathie zählt zu den wesentlichen Grundlagen der therapeutischen Kommunikation und bedeutet im weiteren Sinne "einfühlendes Verstehen". Der Begriff "Einfühlung" kommt dem Begriff "Empathie" zwar sehr nahe, ist mit ihm jedoch nicht identisch, denn Einfühlung heißt, das Gefühl des anderen selbst zu erleben und es ihm mitzuteilen, d.h. mit den Augen des anderen sehen, mit den Ohren des anderen hören. Rogers (1959) selbst definiert Empathie als den "Zustand der Einfühlung oder des Sich-Einfühlens (…), den inneren Bezugsrahmen eines anderen genau wahrzunehmen unter Einschluss der zugehörigen gefühlsmäßigen Komponenten und Bedeutungen, so, als ob man selbst der andere wäre, ohne aber jemals den Als-ob-Zustand zu verlassen. In diesem Sinne bedeutet es, den Schmerz oder die Freude des anderen zu erfühlen, so wie er sie fühlt, deren Ursachen wahrzunehmen, wie er sie wahrnimmt, aber ohne jemals die Erkenntnis zu verlieren, dass es so ist, als ob ich verletzt oder froh wäre". Empathie darf nicht verwechselt werden mit Mitgefühl, Sympathie oder sogenannter Gefühlsansteckung und sie entspricht auch nicht dem Begriff der Identifikation, denn im Unterschied zur Identifikation enthält Empathie ein "Als-ob". Sympathie ist eine "wertende Zustimmung zu den Gefühlen, Ideen und dem Geschmack des anderen" (DAHMER und DAHMER). Empathie bedeutet, das Erleben eines anderen so vollständig und genau nachzuvollziehen, als ob es das eigene wäre, ohne jemals diesen 'Als-ob-Status' zu verlassen. Empathie ist auch nicht zu verwechseln mit einem "Verständnisvoll-Sein" im Sinne einer humanen Haltung. Um mit dem Klienten in seinem Problem kommunizieren zu können, muss ich zwar die Fähigkeit besitzen, mich in ihn einzufühlen, es ist aber nicht erforderlich, dass ich menschlich berührt oder betroffen bin, vielmehr erschwert Betroffenheit die freie Kommunikation zwischen Klient und Patient eher als sie diese fördert. Zwei Bedürfnisse können die Entfaltung der Empathie erheblich erschweren: das Bedürfnis nach emotionaler Neutralität oder nach Dominanz. Empathie ist eine Art Brücke, die aus der Wirklichkeit des Therapeuten in die Wirklichkeit des Klienten hineinführt und es ermöglicht, eine gemeinsame Wirklichkeit zu finden, wodurch es gelingt, auch scheinbar inadäquate Verhaltensweisen und Reaktionen eines Klienten als in seiner Sicht durchaus adäquat und folgerichtig zu verstehen.

Die "fully-functioning person"

Genau wie Maslow interessiert sich Rogers für den gesunden Menschen, für den er den Begriff "voll funktionierend" ("fully-functioning") verwendet, worunter er folgende Eigenschaften subsummiert:

Offenheit für Erfahrungen (openness to experience)

Als Gegenkonzept zur Defensivität versteht man darunter die akkurate Wahrnehmung der eigenen Erfahrungen in der Welt, eingeschlossen der eigenen Empfindungen. Sie umfasst zudem die Fähigkeit, die Realität zu akzeptieren, eingeschlossen der eigenen Empfindungen. Empfindungen spielen deshalb eine so wichtige Rolle, da sie organismisches Werten übermitteln. Wenn man seinen Empfindungen gegenüber nicht offen sein kann, ist man auch nicht offen für Aktualisierung. Der schwierige Teil besteht natürlich darin, die wirklichen Gefühle von den Ängsten zu unterscheiden, die durch die Wertbedingungen hervorgerufen werden.

Existentielles Leben. Das Leben im Hier und Jetzt

Rogers besteht darauf, dass Menschen nicht in der Vergangenheit oder in der Zukunft leben - die Vergangenheit ist vergangen, und die Zukunft ist noch nicht vorhanden! Die Gegenwart ist die einzige Realität, die Menschen haben. Dennoch soll das nicht heißen, dass sie sich nicht an die Vergangenheit erinnern und von ihr lernen sollen. Es bedeutet auch nicht, dass sie die Zukunft nicht planen oder Tagträume haben sollten. Wichtig ist, dass sie diese Dinge als das erkennen, was sie sind: Erinnerungen und Träume, die man hier in der Gegenwart durchlebt.

Organismisches Vertrauen (Organismic trusting)

Menschen sollte es sich erlauben, sich vom organismischen Bewertungsprozess leiten zu lassen. Sie sollten sich selbst vertrauen und das tun, was sich richtig anfühlt, was natürlicherweise zustande kommt. Die Menschen sagen und tun, was ihnen natürlich erscheint - wenn man sadistisch veranlagt ist, verletzt man andere Menschen; ist man masochistisch veranlagt, verletzt man sich selbst; machen Drogen oder Alkohol einen Menschen glücklich, dann soll er sie konsumiere. Damit meint Rogers das Vertrauen in das reale Selbst, dass man nur erfahren kann, was das reale Selbst zu sagen hat, wenn man dafür offen ist, Erfahrungen wahrzunehmen und existentiell zu leben.

Freiheit der Erfahrung (experiential freedom)

Rogers ist der Auffassung, dass es irrelevant ist, ob Menschen einen freien Willen haben. Wichtig ist, dass sie davon ausgehen, dass sie einen freien Willen besitzen. Dennoch bedeutet das nicht, dass sie tun können, was sie wollen, denn sie sind von einem deterministischen Universum umgeben. Das bedeutet, dass Menschen sich frei fühlen können, wenn Auswahlmöglichen offen stehen. Rogers sagt, dass die voll funktionierende Person dieses Gefühl der Freiheit anerkennt und für ihre Wahl Verantwortung übernimmt.

Kreativität

Fühlt man sich frei und verantwortlich, verhält man sich entsprechend, man nimmt an der Welt teil. Eine voll funktionierende Person, verbunden mit Aktualisierung, wird sich natürlich verpflichtet fühlen, zur Aktualisierung anderer und sogar zum Leben an sich beizutragen. Etwa durch Kreativität im Bereich der Künste und Wissenschaften, durch soziales Engagement und elterliche Liebe, oder schlicht indem man im Job sein Möglichstes tut. So wie Rogers den Begriff versteht, liegt Kreativität dem Konzept von Eriksons Generativität sehr nahe.

Siehe auch "Die 10 Lernprinzipien nach Carl Rogers"

Entstanden unter Verwendung von http://www.ship.edu/~cgboeree/rogersdeutsch.html (05-11-06)

Überblick über einige Psychotherapierichtungen und -schulen



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