[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Psychologische Theorien zur Entstehung der Geschlechtsunterschiede

Frauen Männer

Es gibt verschiedene psychologische Theorieansätze, die zu erklären versuchen, warum Buben und Mädchen schon im Kindergarten unterschiedliche Verhaltensrepertoires, Interessen und Beschäftigungsvorlieben haben, wobei das Schwergewicht dabei auf der Entwicklung in der Kindheit und der Rolle der Eltern bei der Geschlechtsrollenentwicklung liegt. Die Bekräftigungstheorie postuliert, dass Buben und Mädchen schon ab dem Kleinkindalter für Verhalten, dass ihrem Geschlecht angemessen erscheint, belohnt werden, was durch Lob, Anerkennung und direkte Belohnung erfolgt, während ihrem Geschlecht unangemessene Verhaltensweisen nicht verstärkt, sondern sogar manchmal sogar bestraft, missbilligt oder einfach ignoriert werden. Die Bekräftigungstheorie basiert also darauf, dass bestimmte dem Geschlecht entsprechende Verhaltensstereotype existieren und Eltern ihre Kinder diesen Stereotypen gemäß erziehen, d.h., dass Eltern ihre Kinder unterschiedlich behandeln. Die Imitationstheorie postuliert, dass Kinder geschlechtstypisches Verhalten durch die Beobachtung gleichgeschlechtlicher Modelle bzw. die Nachahmung und Übernahme deren geschlechtsangemessenen Verhaltens erwerben. Dabei sind vor allem die Bezugspersonen im Hinblick auf erfolgreiches oder erfolgloses Verhalten ihre Vorbilder, d.h., nachgeahmt wird vorwiegend erfolgreiches Modellverhalten überwiegend am gleichgeschlechtlichen Vorbild. Die der Imitationstheorie nahe Identifikationstheorie nimmt an, dass durch die Primärbeziehungen geschlechtsspezifisches Verhalten gefördert bzw. erlernt wird, also durch die Beziehungen zu den wichtigsten Bezugspersonen gemeint, mit denen sich in den ersten Lebensjahren eine intensive gefühlsmäßige Beziehung und Bindung entwickelt hat, wodurch sich ein Kind mit dieser Person identifiziert, also Mädchen mit der Mutter und Buben sich mit dem Vater identifizieren, da Buben und Mädchen sich innerlich mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil als ähnlich oder gar identisch erleben, wodurch auch Einstellungen, Werthaltungen und äußere Verhaltensweisen übernommen werden. Die kognitive Theorie knüpft an die allgemeine Theorie der kognitiven Entwicklung nach Piaget an, wonach sich die geistige Entwicklung des Menschen von innen heraus und in mehreren Stadien vollzieht. Das sich aktiv mit seiner physikalischen und sozialen Umwelt auseinandersetzende Kind erwirbt demnach Wissen und ein immer differenzierteres Urteilsvermögen auch über geschlechtsbezogene Merkmale und Inhalte, die für seine Kultur typisch sind, wodurch ein Kind sich selbst und andere Personen dem weiblichen oder männlichen Geschlecht eindeutig zuzuordnet. Während in der früheren Kindheit diese Zuordnung vor allem durch äußere Merkmale wie Frisur, Kleidung oder Körperbau erfolgt, kommen später Verhaltensweisen, Beschäftigungsvorlieben oder Einstellungen und Haltungen hinzu. In der psychoanalytischen Theorie der Geschlechtsrollenentwicklung ist der anatomische Unterschied zwischen Buben und Mädchen ausschlaggebend. Während Knaben einen Penis besitzen und Mädchen nicht, sodass sie sich als verstümmelt und minderwertig empfinden und das andere Geschlecht deshalb beneiden. Mädchen fühlen sich daher sich zum Vater hingezogen, um ihren kastrierten Zustand zu beenden, während Buben sich zur Mutter hingezogen fühlen und den Vater als Rivalen erleben. Diese auf das andere Geschlecht bezogenen Wünsche spielen sich unbewusst während der ödipalen Phase ab. Zu diesen psychologischen Theorien kommen biologische, kulturelle und soziologische Einflussfaktoren hinzu, die eine zusätzliche Rolle bei der Herausbildung geschlechtstypischen Verhaltens spielen.

Auswirkungen von psychosozialen Belastungsfaktoren

Psychosoziale Faktoren wirken sich auf komplexe Weise auf die psychische Gesundheit und die gesundheitsbezogene Lebensqualität aus, wobei es geschlechtsspezifischen Unterschiede in diesen Wechselwirkungen gibt. Weiß et al. (2023) haben untersucht, wie psychosoziale Faktoren wie soziale Unterstützung sowie persönliche und arbeitsbezogene Sorgen die psychische Gesundheit und die Lebensqualität von Frauen und Männern im ersten Jahr der COVID-19-Pandemie unterschiedlich beeinflusst haben. Als stärkster Einflussfaktor auf das psychische Wohlbefinden stellten sich bei beiden Geschlechtern Ängste heraus, doch bei den Gründen der Angst gab es deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen, denn bei Männern stieg die Angst in zunehmenden Maß mit der Sorge um den Arbeitsplatz, bei Frauen fand sich dieser Effekt nicht. Bei Frauen zeigte sich eine Zunahme der Angstwerte parallel mit einer Zunahme der Sorgen um Familie und Freunde. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit traditionellen Geschlechterrollenbildern, die sich wiederum darauf auswirken, welche Erwartungen die betreffenden Personen an sich selbst haben. Für Frauen ist die soziale Unterstützung ein bedeutender Faktor, der sie widerstandsfähiger gegenüber Stress und Ängsten macht, während bei Männern dagegen die Unterstützung durch ihr per sönliches Umfeld keine wichtige Rolle für ihre psychische Gesundheit spielte. Diese Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, bei therapeutischen Maßnahmen soziale Aspekte zu berücksichtigen, um die psychische Gesundheit von Frauen und Männern zu verbessern.

Literatur

Stangl, W. (2023, 3. August). Unterschiedliche Auswirkungen von psychosozialen Belastungsfaktoren auf die Geschlechter.
https://psychologie-news.stangl.eu/4642/unterschiedliche-auswirkungen-von-psychosoziale-belastungsfaktoren-auf-die-geschlechter.
Weiß, Martin, Gründahl, Marthe, Deckert, Jürgen, Eichner, Felizitas A., Kohls, Mirjam, Störk, Stefan, Heuschmann, Peter U., Hein, Grit, Gelbrich, Götz, Weißbrich, Benedikt, Dölken, Lars, Kurzai, Oliver, Ertl, Georg, Barth, Maria & Morbach, Caroline (2023). Differential network interactions between psychosocial factors, mental health, and health-related quality of life in women and men. Scientific Reports, 13, doi:10.1038/s41598-023-38525-8.