[werner.stangl]s arbeitsblätter 

Geschlecht und Depression

Frauen Männer

Genderproblematik bei der Diagnose Depression

Johannes Wancata, Leiter der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinuniversität Wien, sagt in einem Interview mit dem ORF, dass sich Depressionen bei Männern anders zeigen. Über zwölf Prozent der Frauen leiden in Österreich pro Jahr an einer Depression, bei Männern sind es mehr als sieben Prozent, d. h., bei Frauen ist die Diagnose viel häufiger. Das kann auch daran liegen, dass Männer bei Depressionen zum Teil andere Symptome zeigen wie etwa Reizbarkeit, Aggressivität und Suchtverhalten. Für den Unterschied gibt es eine Reihe von Ursachen, etwa hormonelle, aber auch soziale, denn Männer suchen nicht so oft ärztliche Hilfe wie Frauen. Gedrückte Stimmung, Antriebslosigkeit und Schlafstörungen können bei beiden Geschlechtern auf eine Depression hinweisen, bei Männern finden sich aber zusätzlich häufig Reizbarkeit, Aggressivität sowie Risiko- und Suchtverhalten. Das Konzept der „Male Depression“ ist in Fachkreisen noch sehr jung, wobei hingegen bekannt ist, dass Alkoholabhängigkeit bei Männern häufiger auftritt als bei Frauen. Ob es sich dabei um eine durch den Alkoholkonsum „verdeckte“ Depression handelt oder um ein eigenes Krankheitsbild, kann nach aktuellem Stand der Wissenschaft nicht eindeutig beantwortet werden. Jenseits dieser akademischen Diskussion sind jedoch die beschriebenen Symptome bei Männern unbedingt ernst zu nehmen und ärztlich abzuklären.

Ist die stärkere weibliche Depressionsneigung auf ein anders strukturiertes Gehirn zurückzuführen?

An der Innsbrucker Medizinischen Universität (Klinischen Abteilung für Biologische Psychiatrie) hat Alex Hofer im Rahmen des Projekts "Funktionelle MRT-Untersuchung zur Lokalisation geschlechtsspezifischer Unterschiede in der cerebralen Verarbeitung emotionaler Stimuli" die Verarbeitung emotionaler Reize untersucht. Tatsächlich scheinen Frauen und Männer auf hoch emotionale Szenen, Bilder oder Worte unterschiedlich zu reagieren. Was wiederum die Frage aufwirft, ob diese divergierende Wahrnehmungsfähigkeit von Emotionen einfach nur irgendwie passiert oder ob sie sehr wohl mit ganz bestimmten unterschiedlichen Gehirnstrukturen gekoppelt ist. Es konnte gezeigt werden, dass deutliche "Aktivierungsunterschiede" zwischen Männern und Frauen existieren, wenn diese mit positiven Bildern (Kinder, Liebende, junge Hunde), ihrem Gegenteil (Kriegsszenen, Tötungen und dergleichen) oder auch mit positiven und negativen Worten konfrontiert sind. Generell wird das Gehirn von Frauen stärker aktiviert, wobei die Schläfenlappen, der Schalenkern, das Kleinhirn und der Hippocampus - je nachdem, ob es sich um Wörter oder Bilder handelt - eine regere Aktivität aufweisen. Nur einmal fällt die Aktivierung bei Männern stärker aus, wenn negativ konnotierte Wörter ins Spiel kommen: In diesem Fall springt sozusagen der rechte Scheitellappen an - bezeichnenderweise jener Gehirnbereich, der auch dann reagiert, wenn man mit aggressiven Handbewegungen konfrontiert ist. Frauen reagieren nach dieser Studie weitaus empfindlicher auf Emotionen - nicht allein subjektiv auf der Ebene des Erlebens, sondern auch im Bereich der biologischen Trägerstrukturen. Diese Areale oder Funktionsbereiche sind nachweislich auch bei Depressionen aktiv. Wenn Frauen also doppelt so oft wie Männer an Depressionen leiden, kann das mit dieser "Aktivierungsdifferenz" zusammenhängen.

Quelle
DER STANDARD vom 7. März 2007, S. 15.

Untersuchungen zeigen, dass manche Gehirnstrukturen über Generationen weitergegeben werden, denn so werden bekanntlich in Familien, in denen die Mutter depressiv ist, Töchter häufiger depressiv als Söhne. Das liegt vor allem daran, dass die die Gehirnstrukturen zwischen Müttern und Töchtern ähnlicher sind als die von Müttern und Söhnen oder Vätern und ihren Töchtern und Söhnen.

Literatur
Bun Yamagata, Kou Murayama, Jessica M. Black, Roeland Hancock, Masaru Mimura, Tony T. Yang, Allan L. Reiss, & Fumiko Hoeft (216). Female-Specific Intergenerational Transmission Patterns of the Human Corticolimbic Circuitry. The Journal of Neuroscience, 36, 1254-1260.

Publikationen über die naturbedingten und angeblich unüberwindlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern haben seit Jahren Konjunktur, wobei die Grundlagen dafür hauptsächlich Studien liefern, die die neuen bildgebenden Techniken nutzen, um Geschlechtsunterschiede in der Struktur des Gehirns oder die Muster neuronaler Aktivität sichtbar zu machen. Cordelia Fine (Macquarie University, Australia) nimmt in ihrem Buch „Delusions of Gender“ Studien unter die Lupe, die sich mit dem Thema Männer- und Frauengehirn beschäftigten, und stellte dabei fest, dass viele Untersuchungen mit einer viel zu geringen Anzahl an ProbandInnen durchgeführt wurden. Auch gibt es große Diskrepanzen zwischen dem, was die bildgebenden Studien zeigten, und den Schlussfolgerungen, die Wissenschaftler daraus ziehen, denn die Autoren nutzen oft die gängigen Geschlechterstereotypen, um Lücken der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu überbrücken.

Männer sind laut Studien in hohen Jahren glücklicher, Frauen in der Jugend

Nach einer internationalen Studie, die am Weltkongress für Psychologie 2008 in Berlin präsentiert wurde, sind Frauen nur in jungen Jahren glücklicher als Männer, aber mit zunehmendem Alter werden sie durch schlechte Erfahrungen, Enttäuschungen in der Liebe sowie finanzielle und andere Probleme stärker abgeschliffen. Obwohl beide Geschlechter ähnliche Wünsche im Leben haben, sind junge Männer oft unglücklich – vor allem in ihren Zwanzigern –, während junge Frauen in diesen Jahren das Leben und den beruflichen Erfolg am meisten genießen. Dann aber kehrt sich das allmählich um und das männliche Glück übertrifft das weibliche. Anke Plagnol und Richard Easterlin haben in den USA Längsschnittdaten ausgewertet und festgestellt, dass der Wendepunkt im Leben eines Menschen um sein 48. Lebensjahr eintritt. Nach diesem Wendepunkt sind es Männer, die eher ihre Sehnsüchte erfüllt sehen, die zufriedener sind mit ihrem Familienleben, ihrer finanziellen Situation und insgesamt glücklicher sind. Offensichtlich werden Frauen ab Ende vierzig schwerer fertig mit verlorenen Hoffnungen, vertanen Chancen und verfehltem Liebesglück. Männern in diesem Alter fällt es offenkundig leichter, solche Verluste wegzustecken.

Wiener Zeitung vom Donnerstag, 31. Juli 2008

 


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