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Langzeitarbeitslosigkeit und psychische Erkrankungen

Quellen

Das Bild, das die Allgemeinheit von Arbeitslosen hat, umfasst vor allem nachteilige Eigenschaften, denn Arbeitslose werden in der Regel als deprimiert, unangepasst und langsam, meist aber auch als passiv und unsicher charakterisiert. Häufig findet man daher die Meinung, dass Arbeitslose inaktive Menschen sind, denen es an Motivation zur Arbeit mangelt und die auf Grund ihrer meist ungenügenden Ausbildung und Bildung auch kaum dazu fähig sind, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Diese Auffassung findet sich bevorzugt im Zusammenhang mit arbeitsmarktpolitischen Bildungseinrichtungen, die Arbeitslose daher schulen müssen, damit sie Arbeit finden. Dieses Stereotyp ist ein Eckpfeiler einer blaming-the-victim-Ideologie, die Beschäftigten die Illusion erleichtert, das eigenen Arbeitslosigkeitsrisiko mittels Wohlverhalten hintanhalten zu können. Erwerbslosigkeit und Armut ist dann kein gesellschaftliches Problem mehr, sondern erscheint als spezifisches Defizit einer Problemgruppe. Damit delegitimiert man die Ansprüche von Erwerbslosen an die Gesellschaft und macht sie auch in ihrem Selbstbild damit konfliktunfähig, sodass sie auch keine psychologische Grundlage besitzen, um kollektiv politisch für die Verbesserung ihrer eigenen Lage etwas beizutragen. Kirchler (1993) beobachtete, dass die Selbsteinschätzung von Arbeitslosen im Unterschied zu anderen Vergleichsgruppen keinerlei Positivitätsbias unterliegt, d.h., Arbeitslose schätzen sich selbst durchwegs negativer ein als andere und meinen überwiegend, die Ursache für die Arbeitslosigkeit in der Persönlichkeit des Arbeitslosen zu finden. Offensichtlich fühlen sich Arbeitslose nicht der Gruppe der Arbeitslosen, die auch von ihnen sehr negativ besetzt ist, zugehörig, um selber ein positives Bild von sich selbst aufrechtzuerhalten.

Langzeitarbeitslose haben nicht zuletzt auf Basis dieser gesellschaftlichen Einschätzungen ein wesentlich höheres Risiko, seelisch zu erkranken als Menschen in fester Anstellung, wobei hinzu kommt, dass psychisch erkrankte Langzeitarbeitslose es bei der Arbeitsvermittlung besonders schwer haben. Wenn der Tag durch die Berufstätigkeit nicht mehr strukturiert ist, die sozialen Kontakte allmählich wegbrechen und die Abhängigkeit von einer staatlichen oder karitativen Institution immer größer wird, ist derjenige besonders gefährdet, der mit seelischen Problemen zu kämpfen hat und somit gesellschaftlich bis hin zur Stigmatisierung ausgegrenzt wird. Das verschlechtert natürlich die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt zusätzlich, da auch die MitarbeiterInnen in den Arbeitsämtern auch beim besten Willen bislang nicht über die nötige Zeit und Fachkenntnis verfügen, um die Betroffenen bei der Bewältigung ihrer psychischer Probleme (Drogenkonsum, Depressionen, Angsterkrankungen) angemessen zu unterstützen. Da die Arbeitsvermittlung so oft nicht gelingen kann, ist die Frustration auch auf Seiten der Institutionen oft sehr groß, was bis zur völligen Resignation führen kann. Die MitarbeiterInnen in diesen Einrichtungen sind daher so zu schulen und zu beraten, dass sie in der Lage sind, seelische Probleme vor allem bei älteren Arbeitssuchenden zu erkennen und angemessen mit ihnen umzugehen. Dazu sollten nach Meinung von Psychologen niederschwellige Angebote gemacht werden, sich auf eine psychologische Erkrankung hin untersuchen und beraten zu lassen. Die Erfahrungen aus dem ausgezeichneten Tandem-Projekt in Deutschland zeigen, dass bei einer Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse psychisch Beeinträchtigter die Arbeitsvermittlung erheblich effizienter gestaltet werden kann.

Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf die Partnerschaft

In einer Studie von Luhmann et al. (2014) mit Daten von knapp dreitausend Paaren, die mindestens fünf Jahre zusammenlebten und bei denen mindestens einer arbeitslos wurde, zeigte sich, dass Arbeitslosigkeit beide Lebenspartner unzufrieden machte. Der Arbeitslose selber litt allerdings mehr unter seinem Arbeitsplatzverlust als der nicht arbeitslose Partner, aber auch selbst wenn der Arbeitslose wieder Arbeit fand, lagen die Zufriedenheitswerte beider Partner noch ein Jahr danach unter denen vor der Arbeitslosigkeit. Die Unzufriedenheit nahm noch zu, wenn das Paar Kinder hatte. Arbeitslose Männer waren übrigens unzufriedener als arbeitslose Frauen, die mit ihrer Arbeitslosigkeit offensichtlich besser umgehen können als Männer.

Auswirkungen auf die Persönlichkeit

Untersuchungen (Boyce et al., 2015) zeigten, dass Arbeitslosigkeit auf Dauer für viele Menschen nicht nur belastend ist, sondern dass sie sogar die Persönlichkeit der Betroffenen verändern kann. Bei der Analyse von Daten von mehr als 6700 Erwachsenen, die zwischen 2006 und 2009 zweimal einen Persönlichkeitstest absolviert hatten, waren 210 Studienteilnehmer in diesem Zeitraum ein bis vier Jahre lang arbeitslos, weitere 251 hatten zumindest kurze Zeit keinen Arbeitsplatz. Während Männer im ersten Jahr ohne Arbeit eher verträglicher im Sinne von angepasster wurden, sich ihren Mitmenschen gegenüber also besonders mitfühlend, hilfsbereit und kooperativ zeigten, nahm diese positive Einstellung nach zwei Jahren als Langzeitarbeitslose deutlich nach. Bei den Frauen nahm die Verträglichkeit mit jedem Jahr Arbeitslosigkeit stetig ab. Ähnliches zeigte sich auch im Hinblick auf die Gewissenhaftigkeit und die Offenheit der Untersuchten, wobei vor allem Männer geringere Werte zeigten, je länger sie ohne feste Stelle geblieben waren. Frauen zeigten sich hingegen zu Beginn und zum Ende ihrer Arbeitslosigkeit eher gewissenhafter als zuvor. Solche Persönlichkeitsveränderungen können nach Meinung der Studienautoren dazu führen, dass viele Betroffene ab einem gewissen Zeitpunkt immer mehr Schwierigkeit haben, überhaupt wieder Arbeit zu finden und sich in einer gefährlichen Abwärtsspirale befinden.

Psychische Erkrankungen sind Vermittlungshindernis bei Langzeitarbeitslosen

Quellen

Ein Leipziger Pilotprojekt zeigte, dass die Mehrheit der älteren Langzeitarbeitslosen (66%) leidet an psychischen Erkrankungen, die bisher nicht erkannt oder nicht optimal behandelt wurden. Diese sind häufig eine wichtige Ursache der Arbeitslosigkeit und verhindern die Reintegration in den Arbeitsmarkt. Viele glauben, dass Langzeitarbeitslose durch die Arbeitslosigkeit psychisch erkranken, doch häufig besteht eher ein umgekehrter Zusammenhang: Depressionen aber auch andere psychische Erkrankungen führen zu Arbeitslosigkeit und erschweren den Weg zurück in die Arbeit. In einem Modellprojekt des Jobcenters und der Medizinischen Fakultät in Leipzig wurden 852 Klienten beraten, von denen 560 (66%) mindestens eine psychische Erkrankung aufwiesen. Von diesen 560 psychisch erkrankten Klienten wurden lediglich 35 (6%) bereits optimal, d.h., leitlinienkonform, behandelt, während 525 Klienten (94%) keine bzw. lediglich eine unzureichende Behandlung erhielten. In der Einzelberatung bekamen die Betroffenen Behandlungsempfehlungen und wurden bei der Suche nach einem Behandlungsplatz begleitet, eine fachärztliche und/oder psychotherapeutische Behandlung wurde 329 Klienten (63%) ohne Behandlung bzw. mit unzureichender Behandlung empfohlen, Beratungsstellen etwa bei Suchtproblematiken wurden 85 Klienten (16%) und sonstige psychosoziale bzw. medizinische Versorgungsangebote 76 Klienten (15%) empfohlen. Es st daher wichtig, das in den Jobcentern die Mitarbeiter im psychosozialen Coachings geschult werden, damit sie allfällige Hinweise auf psychische Erkrankungen erkennen können. Bei einem Erstgespräch mit einem Psychologen werden eine ausführliche Anamnese sowie ein klinisches Diagnostikgespräch durchgeführt, wobei der Klient im Anschluss daran Informationen zu seiner psychischen Erkrankung, eine Beratung zu Behandlungsmöglichkeiten, Kurzinterventionen und die Möglichkeit an Gruppenprogrammen wie Entspannung oder Stressbewältigung teilzunehmen erhält. Mit einem solchen Programm kann man einen wesentlichen Beitrag zur besseren Versorgung depressiv erkrankter Menschen und zur Reduktion der Zahl der Suizide leisten.

Literatur

Boyce, Christopher J., Wood, Alex M., Daly, Michael & Sedikides, Constantine (2015). Personality Change Following Unemployment. Journal of Applied Psychology.

Hollederer, A. (2002). Arbeitslosigkeit und Gesundheit. Ein Überblick über empirische Befunde und die Arbeitslosen- und Krankenkassenstatistik. In Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 35. Jg. 2002.
WWW: http://doku.iab.de/mittab/2002/2002_3_MittAB_Hollederer.pdf

Kastner, M. & Vogt, J. (2000). Soziale und psychische Faktoren bei der Bewältigung von Arbeitslosigkeit. In M. Kastner (Hrsg.), Strukturwandel in der Arbeitslosigkeit und individuelle Bewältigung. Lengerich, Wien: Pabst Verlag.

Kastner, M., Hagemann, T. & Kliesch, G. (Hrsg.) (2014). Arbeitslosigkeit und Gesundheit – Arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung. Pabst.

Kieselbach, Th. (1994). Arbeitslosigkeit als psychologisches Problem - auf individueller und gesellschaftlicher Ebene.
WWW: http://www.adeccostiftung.de/pdf/11_KIESE.pdf (09-12-12)

Kieselbach, Th. (2003). Psychologie der Arbeitslosigkeit: Von der Wirkungsforschung zur Begleitung beruflicher Transitionen. In Bolder, A. & Witzel, A. (Hrsg.), Berufsbiographien. Beiträge zu Theorie und Empirie ihrer Bedingungen, Genese und Gestaltung (S. 178-194). Opladen: Leske & Budrich.

Kirchler, E. (1993). Arbeitslosigkeit. Psychologische Skizzen über ein anhaltendes Problem. Göttigen: Hogrefe.

Kirchler, E. (1984). Arbeitslosigkeit und Alltagsbefinden. Eine sozialpsychologische Studie über die subjektive Folgen von Arbeitslosigkeit. Linz: Rudolf Trauer Verlag.

Luhmann, M., Weiss, P., Hosoya, G. & Eid, M. (2014). Honey, I got fired! A longitudinal dyadic analysis of the effect of unemployment on life satisfaction in couples. Journal of Personality and Social Psychology, 107, 163-180.

Pelzmann, L. (1988). Arbeitsmarktpolitik. Individuelle Folgen von Arbeitslosigkeit Linz: Österreichisches Institut für Arbeitsmarktpolitik.



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